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Turbulenzen im Flug


jared1966

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Klar treten Turbulenzen auf meinen Flügen in der Tropen häufig auf, dennoch habe ich diese auch schon in Deutschland reichlich erlebt. Und klar, dem Ein oder Anderen macht es schon berufsbedingt gar nichts mehr aus. Dennoch erlebe ich manchmal ein im Alter leider wieder zunehmendes schleichendes Unwohlsein, obwohl ich selber oft als Pax mitfliege und schon bis auf Australien auf jedem Kontinent vielfach unterwegs war, auch mit Blacklist-Carriern.

 

So erlebte ich häufig den Golf von Bengalen vom Himalaya kommend in einer 747 der Singapore Airlines als eine Herausforderung, ebenso wie Flüge mit ner 737-200, wie der von Merpati Airlines in West-Papua Neu-Guinea, nicht lustig.

 

Meine Fragen dazu nun:

 

1. Gibt es bestimmte geographische Gegenden, die Eurer Erfahrung nach "berühmt-berüchtigt" dafür sind (auch Jahreszeitabhängig)

2. Gibt es Flugzeugtypen, die anfälliger als andere dafür sind?

3. Ab welchem Level von Turbulenzen muss man als Pilot was genau tun, gibts da messbare Einheiten für oder verlässt man sich da ganz auf den dunklen Radar und seine eigenen Erfahrungen?

4. Gibt es eine Website oder App, die einem durchschnittlichen Gerne- und Vielflieger wie mir zeigt, wo Turbulenzen auftreten?

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1. Gibt es bestimmte geographische Gegenden, die Eurer Erfahrung nach "berühmt-berüchtigt" dafür sind (auch Jahreszeitabhängig)

 

Generell treten Turbulenzen ja dort auf, wo dicht nebeneinander ungleiche Luftströmungen auftreten. Entweder solche mit unterschiedlichen Richtungen aber ungefähr auf dem selben Höhenniveau bleibend oder welche, die auf kurzer Wegstrecke starkes Ansteigen bzw. Gefälle aufweisen.

Der erste Typ ist vor allem da präsent wo zwischen ca. 30 und 60 Grad Breite schlauchähnlich verlaufende, schnelle Luftströmungen (besonders sog. jetstreams oder Strahlstrom) in Gegenden auftreten, deren Grosswetterlage eine von dieser abweichende vorherrschende Windrichtung aufweisen. Wann sich diese Zonen genau wie um die Erde schlängeln ändert sich natürlich täglich, d.h. es wäre vor dem Flug eine aktuelle Wetterkarte für die erwartete Flughöhe und den Flugpfad zu konsultieren, was im Rahmen des pre-flight briefings selbstverständlich auch gemacht wird. Dort wo der Jetstream in einigermassen stumpfem Winkel durchflogen wird kann man für 20-30 Minuten fast sicher mit Turbulenzen rechnen, wenn der Winkel spitz ist entsprechend mit vorübergehendem starkem Gegen- oder Rückenwind.

Beim zweiten Typ ist die Vorhersage noch lokaler zu betrachten, da hier geografische Gegebenheiten (Berge) die grösste Rolle spielen. Entweder sie werden einfach überströmt, was meist relativ gutmütig verläuft, oder es bilden sich im Extremfall stehende horizontale Walzen (sog. Rotoren), die auch schon für Totalverluste verantwortlich waren. In letzterem Fall ist von Seiten der Besatzung noch mehr Erfahrung, Ortskenntnis und Vorsicht als bei allen anderen beschriebenen Phänomenen gefragt, da viele Bereiche jahreszeitlich typische Wirbelbildung aufweisen, auch temperaturbedingt.

 

 

2. Gibt es Flugzeugtypen, die anfälliger als andere dafür sind?

 

Je schwerer und kürzer, desto weniger anfällig sollte man meinen. Ein A380 wäre also theoretisch am stabilsten, während eine MD-80 mit dem langen Hebelarm ptoblematisch wäre. Die widerspricht aber meiner Erfahrung insofern als A318 und Avros mir als besonders wackelig aufgefällen sind. Die Flugzeugmasse scheint also in der Praxis einen grösseren Einfluss zu haben als die Länge des Hebelarms.

 

 

3. Ab welchem Level von Turbulenzen muss man als Pilot was genau tun, gibts da messbare Einheiten für oder verlässt man sich da ganz auf den dunklen Radar und seine eigenen Erfahrungen?

 

Sich nur aufs Radar zu verlassen wäre gefährlich, denn es wird dort ja nur Bewegung von Tropfen angezeigt, während Clean Air Turbulence (wie der Name schon sagt) "aus heiterem Himmel" kommt, z.B. beim Durchfliegen einer Wirbelschleppe. Ansonsten tut man natürlich gut daran, sich von allen roten Bereichen auf der Radar-Anzeige fernzuhalten, selbst wenn keine noch so starke Turbulenz der Welt in der Lage wäre eine vorher flugtaugliche Maschine direkt in Stücke zu reissen. In erster Linie hängt das Verhalten des Piloten davon ab, was man den Paxen zutrauen will und welche Alternativen einem die Flugsicherung lässt (auf dem Nordatlantik sind diese aufgrund der starren Staffelungsprozeduren beispielsweise meist relativ überschaubar).

 

 

4. Gibt es eine Website oder App, die einem durchschnittlichen Gerne- und Vielflieger wie mir zeigt, wo Turbulenzen auftreten?

 

Es gibt frei verfügbare Höhenwetterkarten im Netz, die schon einiges vorhersehen lassen, z.B. das oft herangezogene 500 hPa Druckniveau entsprechend etwa 18000 Fuss Höhe. Aber: die muss man auch entsprechend lesen können (und da scheitern dann doch die meisten Nicht-Meteorologen bzw. wer nicht beispielsweise in der Pilotenausbildung von Experten genau gesagt bekommen hat, worauf zu achten ist). Ein Beispiel dafür ist auf dieser Seite (ganz unten) wiedergegeben:

 

http://www.m-forkel.de/klima/500hpa_global.html

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Wahnsinn! Tolle Antworten. Da hat sich mal einer richtig reingekniet - vielen Dank! Da werde ich mich mal näher mit beschäftigen, das beruhigt mich dann viielleicht etwas für den nächsten Flug.... :)

 

Frage: Wieso entspricht der ungefähren Verlauf des Jetstreams etwa dem Verlauf der 5520-m-Isohypse auf der dargestellten Karte des von Dir übermittelten Links - Ist das schlicht ein Erfahrungswert der Meteorologen?

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Wieso entspricht der ungefähren Verlauf des Jetstreams etwa dem Verlauf der 5520-m-Isohypse auf der dargestellten Karte des von Dir übermittelten Links - Ist das schlicht ein Erfahrungswert der Meteorologen?

 

Genau das meinte ich mit "man muss die Karten auch lesen können", sonst guckt man drauf wie die Sau ins Uhrwerk und erkennt gar nix (es gibt allerdings auch laienfreundlichere Darstellungen als die hier). Ob die Grenze nur hier gilt oder generell: keine Ahnung.

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Habe jedenfalls, Dank Dir, 9 von 10 Antworten bei dem Test im Link richtig gehabt und raffe jetzt weitaus mehr, obwohl ich das alles mal beim Segelfliegen schon vor 30 Jahren durchgekaut habe. Nur gabs damals ja das Internet nicht.

 

Ich gucke jetzt noch mal nach weiteren Links, die "Turbulenzen" quasi beinhalten könnten, so wie bei diesem, wo man das Mäandern des polaren Jetstreams gut sehen kann:

 

North Atlantic Jetstream

 

Dann noch die hier, die Zwischenfälle zum Teil zeigt, aber sehr unzuverlässig darstellt, der Titel ist sowieso unglücklich:

 

turbulenceforecast

 

Nebenbei sehe ich gerade bei flightradar24, dass die einen "vertical speed" in der Einheit "fpm" angeben. Kann mir jemand Näheres dazu sagen?

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Die Jetstreams stellen sich in den gewohnten Breitengraden und Höhen ein, da hier gegenläufige zirkuläre Bänder der Atmosphäre aneinander grenzen. Er verschiebt sich Jahreszeiten bedingt und ist eine kontrollierbare Größe. So lange man ihn nicht quert ist er eher harmlos.

 

Vor allem auf den Nordatlantik Routen informieren sich Crews gegenseitig über auftretende Turbulenzen. Dadurch kann man gezielt die Kabine warnen oder besser noch die Flughöhe variieren.

 

In den Tropen schießen Gewitter sehr weit nach oben, da sind wir mit einer Qantas 747 letztes Jahr schön Slalom geflogen kurz vor Singapur, um nur nicht in die Blumenkohle zu geraten. Und wir waren schon auf FL400, trotzdem sah es aus wie im Tiefflug durch die Alpen.

 

Am heikelsten sind Gegenden rund um Gewitter. Hier sind Höhenströmungen fast unkalkulierbar - nicht nur in den Tropen. Im Herbst durfte ich das auf LH463 miterleben, als wir vor der Küste New Yorks eine Gewitterfront kreuzen mussten. Dank vorheriger Ansage saß auch die Crew festgezurrt auf ihren Sitzen, als unsere A380 heftig durchgerüttelt wurde und aus FL390 nach unten durchsackte. Das war Achterbahn pur, entsprechend groß war das Geschrei nicht nur der weiblichen Gäste. Ohne Vorwarnung wäre das nicht so glimpflich abgelaufen.

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Nebenbei sehe ich gerade bei flightradar24, dass die einen "vertical speed" in der Einheit "fpm" angeben. Kann mir jemand Näheres dazu sagen?

 

Also das hat ja nur indirekt was mit dem Thema zu tun oder ich verstehe die Frage nicht. fpm steht für feet per minute. Lotsen geben Piloten häufige eine rate mit um die vorgeschriebenen Abstände zu erreichen. Also DLH123 climb FL290 at 1500 ft/min or greater. Im Levelflug ist die veritcal speed also fast immer 0. Manchmal gibt es kurzfristige Abweichungen von 100ft. Ob das nun an Turbulenzen liegt oder an ungenauen Radarmessungen, tja, kann wohl beides sein.

Sobald ein Pilot aber severe turbulence reported, kann man natürlich von Turbulenzen ausgehen. Aber dann wird ja sowieso das FL gewechselt. Hoffe deine Frage jetzt beantwortet haben zu können.

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Also das hat ja nur indirekt was mit dem Thema zu tun oder ich verstehe die Frage nicht. fpm steht für feet per minute. Lotsen geben Piloten häufige eine rate mit um die vorgeschriebenen Abstände zu erreichen. Also DLH123 climb FL290 at 1500 ft/min or greater. Im Levelflug ist die veritcal speed also fast immer 0. Manchmal gibt es kurzfristige Abweichungen von 100ft. Ob das nun an Turbulenzen liegt oder an ungenauen Radarmessungen, tja, kann wohl beides sein.

Sobald ein Pilot aber severe turbulence reported, kann man natürlich von Turbulenzen ausgehen. Aber dann wird ja sowieso das FL gewechselt. Hoffe deine Frage jetzt beantwortet haben zu können.

Habe gestern einen Flug der LH 710 von FRA nach NRT auf der Höhe 33.000 feet etwa bei SXF per Flightradar verfolgt. Die donnerte mit zackigen 1.080 kmh dahin und zwischendurch kam eben mal plus und mal minus 60-100 fpm vertical speed dazu, woraufhin ich auf Turbulenzen schließe...

 

 

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Also die letzten Tage waren sehr starke Winde. Das Maximum was ich gesehen habe waren so ca. 120 Knoten. Daher gab es immer mal wieder Regionen mit light to moderate turbulence. Das kommt häufiger über Deutschland vor. Ob man nun aber die Stärke der Turbulenzen anhand der veritcal speed messen kann, naja das halte ich für übertrieben. 60ft/min sind ja nix, wenn man das auf die vertical speed ft/sec umrechnen will.

Oder um es anders auszudrücken: Oft ist die veritcal speed 0 und die Piloten melden moderate turbulence. Da würde ich mich nicht auf die Mode S Daten verlassen. Wenn die DLH710 also kontinuierlich in FL330 geblieben ist, dann war es wohl nicht so schlimm. Lufthansa versucht dann schnell ein anderes FL.

Moderate turbulence zu definieren ist sowieso schwierig. Da haben ein Lufthansa und ein Aeroflot Pilot bestimmt eine andere Meinung drüber. ;)

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Es wird unterschieden zwischen light, moderate und severe. Einen Einheit oder ähnliches gibt es nicht. Das ist dann subjektive Wahrnehmung der Piloten.

Bei light wird meistens nichts gemacht, wackelt halt ein bisschen, der Kaffee schwappt aber nicht über.

Bei moderate wird meist versucht das FL zu wechseln. Wenn es in allen FL wackelt, dann sagt man das dem Piloten weiter, denn dann bringt auch ein Wechsel nichts. Möchte die Crew es trotzdem versuchen, dann ermöglicht man dies natürlich, sofern es geht. Sobald moderate bekannt ist, sollte man die anderen Piloten vorwarnen. Geht natürlich nur, wenn der traffic dies erlaubt.

Bei severe wird garantiert das FL gewechselt und andere sollten definitiv vorgewarnt werden, damit diese schon vorher das FL wechseln können. Einziger Nachteil: Irgendwann muss halt mal wieder jemand durch um zu checken, wie es derzeit aussieht.

Generell können Turbulenzen einen eigentlich entspannten traffic recht stressig machen.

Das ganze habe ich jetzt mal aus Fluglotsensicht geschrieben. Ein Pilot kann die Unterschiede wohl besser aus seiner Sicht beschreiben.

 

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Die Flugzeugmasse scheint also in der Praxis einen grösseren Einfluss zu haben als die Länge des Hebelarms.

 

meines wissens nach ist die flächenbelastung ausschlaggebend für die anfälligkeit eines flugzeugs gegenüber turbulenzen

 

mehr wing loading - weniger schaukeln

weniger wing loading - mehr schaukeln

 

hat wohl was damit zu tun, dass die variierenden aerodynamischen komponenten relativ zur gesamten auftriebskraft weniger ins gewicht fallen

 

 

kann mir aber schon vorstellen, dass das gesamtgewicht wegen der trägheit auch eine rolle spielt, allerdings eher eine untergeordnete, sonst wäre fliegen in kleinen flugzeugen unerträglich, während man in großen garnichts spürt

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Also severe (nicht heavy) turbulence (plural gibt es nicht) zu beschreiben machen wohl besser die Piloten. Ich zitiere einfach mal von a.net:

 

Per our (CO) inflight manual:

 

Severe Turbulence is

 

Turbulence that causes large abrupt changes in altitude/attitude:

 

1. In most cases, severe turbulence will be unanticipated

2. Unsecured items are tipped over or tossed about

3. Standing or walking is impossible without hold on to part of aircraft

4. Occupants are forced violently against seat belts

 

http://www.airliners.net/aviation-forums/g...d.main/2881516/

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Sehr aufschlußreich ist diese PDF der FAA von 2006, in der neben der Einteilung der "urbulence-Stufen" auch noch eine etwas merkwürdig anmutende Graphik im Appendix zu finden ist:

 

Dort stehen die "Turbulence Accidents Per Million Departures U.S. Air Carriers, 1982-2003" und dass die Verletzungen in den letzten Jahren zugenommen haben. Sie setzen es ins Verhältnis zum Loadfaktor.

 

FAA 2006 - Guidance Library - Turbulence

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Im deutschen sind es entweder Leewellen oder Rotoren. Leewellen treten primär über dem Gelände auf und leicht in Windrichtung versetzt, Rotoren drunter und vor den Wellen. Segelflieger nutzen Leewellen für extreme Höhenflüge und erforschen damit auch nebenbei das für die Verkehrsluftfahrt nicht ungefährliche Phänomen. Nachlesen kann man da einiges auf http://www.mountain-wave-project.com/. Einer der bekanntesten Piloten der Wellenflugphänomene ausnutzt ist Klaus Ohlmann der auch auf avHerald kommentiert, wie man in dem oben verlinkten Kommentar sehen kann.

 

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Hallo,

 

ich empfehle, vor dem Flug mal in die Significant Weather Charts zu schauen, wo (so gut wie möglich) Windturbulenzen und Gewitterzonen, und deren Flughöhen, verzeichnet sind.

 

http://www.flightwork.com/weather/signific...her-charts.html

 

Im Golf von Bengalen ist es vor allem im Sommer turbulent, wenn die ITCZ (Innertropische Konvergenzzone) um den nördlichen Wendekreis ist. Im Winter kann man oft einen Flug Europa-BKK mit ständig ausgeschaltetem Anschnallzeichen geniessen.

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