Gast firob Geschrieben 10. September 2003 Melden Geschrieben 10. September 2003 Hallo, gefunden in der "Berliner Zeitung" vom Montag: Friedhof der Elefanten Flugzeuge, die keiner braucht: Seit dem 11. September warten in der kalifornischen Wüste hunderte Jets auf bessere Zeiten MOJAVE, im September. Ein armer Hund, wie ihn Sam Creach an diesem Morgen samt Transportkäfig von der Ladefläche seines Trucks hebt, hat in Mojave eine Lebenserwartung von fünf Tagen. Der Mischlingsrüde, dessen heiseres Bellen einem in Mark und Bein fährt, sieht zum Erbarmen aus. Aber wahrscheinlich wird sich niemand seiner erbarmen. Creach leitet das Tierheim von Mojave, einem Ort in der kalifornischen Wüste, drei Autostunden hinter Los Angeles, der im Großen und Ganzen aus Motels und Tankstellen besteht. Den Hund hat Creach am Highway gefangen. "Wir heben den Burschen fünf Tage lang auf", sagt er. "Wenn ihn keiner holt, wird er eingeschläfert." So regelt es in Kalifornien das Gesetz. Hunde, die keiner braucht, werden weggesperrt und entsorgt. Es geschieht dezent und spurenlos. Aber nicht lautlos, ihr Gebell hallt den ganzen Tag lang über das angrenzende Flugfeld. Die Hunde von Mojave liefern die Geräuschkulisse zu einer Manifestation von kolossaler Trostlosigkeit. Hinter Gestrüpp, Kakteenbäumen und Stacheldraht parken hunderte Flugzeuge im Sand; Flügel an Flügel, die Nasen in den Wind gedreht, als würden sie sich jeden Moment zum Formationsflug erheben. Drei moderne Boeing 747-400 der niederländischen KLM neben den eleganten MD-11 von Swissair, eine Reihe alter DC-10 neben noch älteren TriStars. Boeing, Airbus, Lockheed, alle prominenten Firmen sind vertreten, selbst wenn es sie wie McDonell Douglas und Fokker gar nicht mehr gibt. An der Spitze stehen die Clipper, angeführt von einem Jumbojet der Virgin Atlantic, dessen wulstigen Bug eine Galionsfigur mit dem Union Jack ziert, ihm folgen bescheidenere Maschinen. Doch die Armada bleibt am Boden. Die Cockpitfenster sind mit Planen beklebt, alle Triebwerke abgedeckt, Silberfolie umhüllt die mächtigen Reifen. Bis auf das Kleffen der Hunde und das Pfeifen der Windböen in den frei liegenden Drähten ist nichts zu hören, kein Turbinenlärm, keine Durchsage. Die Leitwerke der Flugzeuge zeichnen sich vor dem Horizont wie Grabkreuze ab. Der Airport von Mojave ist ein Monument des Stillstandes. Niemand wuchtet hier am Schalter seine Koffer aufs Förderband. Es gibt gar keine Schalter. Von hier aus tritt niemand eine Urlaubsreise an. Kein Mensch wartet auf Freunde und Verwandte. Auf diesem früheren Flugplatz der US-Marines warten Passagierjets darauf, abgeholt zu werden; sei es von ihren alten Besitzern oder von neuen. Einige warten schon zehn Jahre. Flugzeuge haben es in Mojave besser als Hunde. Die Jets, deren bunte Bemalungen von fröhlichen Zeiten erzählen, sind überflüssig. Sie wurden vom Himmel geholt und in der Wüste aufgebahrt. Vor drei Jahren lagerten in Mojave höchstens drei Dutzend Flugzeuge, heute stehen hier fast dreihundert Maschinen von Airlines aus Amerika, Asien und Europa. Auf weiteren Abstellflächen in Kalifornien sowie in Arizona, wo die Lufthansa überzählige Jumbos älteren Fabrikats eingemottet hat, harren mehr als zweitausend Passagierflugzeuge ihres Schicksals. Ein Drittel von ihnen wird wohl nicht mehr starten. Auf sie wartet der Schrotthändler. Wenn es wieder aufwärts geht, werden sie durch neue Modelle ersetzt. Aus dem Verkehr gezogen wurden die Flugzeuge, als nach den Terroranschlägen von New York die Passagierzahlen schlagartig dramatisch zurückgingen. Missmanagement tat ein Übriges. Unternehmen wie die belgische Sabena und die Swissair gingen bankrott. American Airlines, US-Airways und United konnten die Insolvenz bislang nur mit Hilfe staatlicher Subventionen abwenden. Allein die US-Gesellschaften legten seit dem Herbst 2001 zirka 1 600 Maschinen still. Vor zwei Jahren herrschte auf dem Airport in Mojave Hochbetrieb. Die Jets seien reihenweise bei ihm eingeflogen, sagt Flugplatzchef Stuart Witt; wie Schiffe im Sturm, die einen Hafen suchen. Mehr will er zu den Wirkungen des 11. Septembers nicht sagen, weder was das für seinen Flugplatz bedeutet, noch für die Branche oder für das Fliegen in Amerika generell. "No comment on nine eleven", nichts über den 11. September, lautet seine Auskunft. Dabei sind vielleicht nirgendwo sonst in Amerika die Folgen jenes 11. Septembers so anschaulich wie auf diesem Wüstenfleck. In Mojave trägt die Krise ein Gesicht, nicht nur die der Luftfahrt, es ist die Krise des modernen Lebens. Der Passagierjet, bei aller Massenabfertigung für viele noch immer eine Traummaschine, hat mit den Attentaten von New York seine Unschuld verloren. Er wurde zur Waffe. Wenn in Mojave jetzt Flugzeuge zu hunderten am Boden stehen, ist das aber nicht nur ein Zeichen von Flugangst und Rezession, es ist auch symbolisch für eine Welt, die ihrer permanenten Beschleunigung misstraut. Es heißt, in den USA, wo an jedem Tag 52 000 Flugzeuge starten und landen, reisen jetzt wieder mehr Menschen mit der Eisenbahn, selbst wenn die Fahrt von Chicago nach Los Angeles drei Tage dauert. Passagiere, die nicht mehr fliegen, sieht man auch nicht. Gesunkene Aktienkurse sind nur eine Kurve auf dem Monitor. Arbeitslose Piloten und Stewardessen gehen selten auf die Straße, um für ihre Jobs zu kämpfen. Die Flugzeugbauer bei Boeing, die in den vergangenen Monaten zu tausenden entlassen wurden, halten still. Aber eine Flottille überschüssiger Flugzeuge lässt sich nicht verstecken wie ein Butterberg, nicht einmal in der Wüste. Wenn Witt aus dem Fenster seines winzigen Büros in dem barackenartigen Flughafenbau schaut, kann er jene Situation, über die er nicht spricht, gut überblicken. Viele der Flugzeuge, die dort stehen, stehen dort schon viel zu lange. Eigentlich schien sich die Lage gerade etwas zu entspannen. Ende vergangenen Jahres waren etliche Maschinen wieder ausgeflogen. Das Bild begann sich aufzuhellen. Doch die Lungenkrankheit Sars und der Irak-Krieg haben die größte Krise der zivilen Luftfahrt in diesem Frühjahr noch einmal verschärft. Kunden aus Kanada, Korea, Hawaii und China flogen an Witts Fenster vorbei auf ihren Abstellplatz. Als Southwest Airlines in Schwierigkeiten geriet, landeten in Mojave erstmals sogar fabrikneue Jets. Die Boeing 737 kamen direkt aus der Fertigungshalle in Renton im Bundesstaat Washington, nur zwei Flugstunden entfernt. Sie sind längst wieder fort. Die gestrandete Boeing-Flotte ihres Konkurrenten Metrojet steht heute noch vor Stuart Witts Büro. Die Parkgebühr von 400 Dollar pro Monat ist günstig. Da die Unterhaltskosten für ein Flugzeug enorm sind, selbst wenn es nicht fliegt, und es auf den Heimatbasen ohnehin an Abstellfläche fehlt, sparen die Fluggesellschaften sehr viel Geld, wenn sie ihre nicht benötigten Jets konservieren lassen. Die Mojave-Wüste, tausend Meter hoch gelegen, ist dafür der ideale Ort. Hier regnet es fast nie, im Sommer erreichen die Temperaturen 45 Grad Celsius. Die Maschinen können jahrelang im Freien stehen, ohne Rost anzusetzen. Und der Boden ist derartig hart, dass selbst Jumbojets ohne Probleme zu ihren Parkpositionen weit abseits der Piste rollen können. Die Flugzeuge stehen dort nicht nur so herum. Im besten Fall sollen sie ja eines Tages wieder Passagiere befördern. Jede Maschine, die als Dauergast in Mojave landet, wird nach einem speziellen Programm betreut, sagt John Maloney; der als Direktor für die Wartung der traurigen Luftflotte zuständig ist. "Wenn sie hier eintreffen ist nicht klar, wie lange sie bleiben, das können vier Wochen sein aber auch vier Jahre." Kommt ein Flugzeug nach Mojave, lassen die Mechaniker zuerst den Treibstoff ab, die Tanks müssen leer sein. Anstelle des Benzins wird ein Konservierungsmittel nachgefüllt, um das Entstehen kerosinhaltiger Dämpfe zu verhindern, die in der Hitze explodieren könnten. Luken und Fenster werden mit Klebeband abgedichtet, um das Eindringen von Treibsand zu verhindern. Die meisten Airlines achten zudem darauf, dass die Firmenlogos auf den Leitwerken übertüncht werden. Fotos, die ihr Flugzeug in der Wüste zeigen, schaden dem Ruf. Auch aus diesem Grunde ist Fotografieren an Ort und Stelle offiziell verboten. Ist die Maschine eingelagert, bestimmt der Kunde, was mit ihr geschehen soll. "Wir machen alles", sagt Maloney. Alles heißt zunächst, dass im Sommer jeden Tag gelüftet wird. Morgens Türen auf, abends Türen zu; damit sich keine Klapperschlangen einnisten. Für einen gewissen Obolus werden einmal im Monat die Motoren angelassen und verschiedene Instrumente gecheckt. Auch der Luftdruck in den Reifen wird überprüft. Wer sein Flugzeug liebt, lässt es vom Traktor hin- und herschieben. Das soll gut für die Räder sein. Erst wenn es einen festen Interessenten für das Flugzeug gibt, startet es in Mojave zum Testflug. Bevor eine Maschine wieder in den Passagierdienst geht, muss sie allerdings von ihrem Betreiber noch einmal generalüberholt werden. "Haben wir sie nach einem Jahr noch hier, richten wir uns auf eine längere Zeit ein", sagt Maloney, dann kommt alles raus: Hydraulikflüssigkeit, Öl, Schmierstoffe. Die Maschine wird trocken gelegt. John Maloney, Direktor in Jeans, T-Shirt und Basecap, arbeitet seit dreißig Jahren in der Luftfahrt. Er war Mechaniker bei Lockheed und hat in der US Air Force am Transporter C-130 Hercules geschraubt. Er denkt nicht, dass es in seiner Branche je wieder so sein wird wie vor dem 11. September. "Das Geschäft ist härter geworden", sagt er. "Die Philosophie der Luftfahrt ändert sich. Alte Gesellschaften gehen kaputt, neue Anbieter füllen mit neuen Ideen die Lücken. Auch wir müssen unsere Nische finden." Maloney fürchtet, dass der regionale Airport in Mojave seinen guten Ruf als Testbasis und Technologiestandort verliert. "Für viele sind wir inzwischen nur noch der Flugzeugfriedhof." Vor dem 11. September habe Mojave mit Wartungsaufträgen für fliegende Flugzeuge, von der Cessna bis zum Jumbojet, sein Geld gemacht. Nun, da es vor allem darum geht, parkende Flugzeuge zu lüften, seien seine besten Fachleute längst abgewandert. Als Automechaniker verdiene man heute mehr Geld als in der Luftfahrt. Und wenn Maloney dann erzählt, wie John Travolta früher sein Privatflugzeug, eine alte Boeing 707, persönlich nach Mojave zur Durchsicht geflogen hat, dann klingt es schon wie eine Geschichte aus dem goldenen Zeitalter. Im äußersten Winkel des Flughafens, vom Highway aus nicht einzusehen, haben sich die Schrotthändler in ihrer Schmuddelecke eingerichtet. Die Abrisstruppe von Mojave gehört nicht zu Maloneys Personal. Er sagt: "Wir sehen die Flugzeuge lieber fliegen als zerbrechen." Im Boneyard, dem Knochengarten des Airports, sieht es aus wie nach einem Flugzeugabsturz, Fahrgestelle stehen kreuz und quer herum, an den ausgeweideten Rumpf einer DC-10 schlägt eine Kabinentür auf und zu, exakt wie ein Metronom. Es riecht nach Öl und Gummi. Wenn ein Windzug geht, flattern die losen Teile des Schrotthaufens. Es scheint so, als wolle sich das Flugzeug selbst im Zustand absoluter Zerstörung in die Luft erheben. Solche Sentimentalitäten sind Jay Dreyfuss und Jeff Callahan fremd. Sie verdienen mit dem Schrott ihr Geld. Ihr Kleinbetrieb heißt "Precious Metal", hübsches Metall. Das abgesägte Oberdeck eines Jumbojets haben sie sich als Frühstücksraum hergerichtet. "Man könnte sagen, je schlechter es der Branche geht, desto besser geht es uns", sagt Jeff Callahan, der heute eine DC-9 der Hawaiian Airlines tranchiert. Das Flugzeug ist aufgebockt, es lagert auf gestapelten Eisenbahnschwellen. Fahrwerke, Reifen und Motoren sind bereits demontiert und verkauft. Kilometerlange Kabel stecken noch hinter der Kabinenverkleidung. Die wird Callahan ans Licht zerren, bevor er später den Korpus des Flugzeuges mit einer hydraulischen Kneifzange zerlegt. Was an einem Flugzeug wieder verwendbar ist, landet auf dem Ersatzteilmarkt. Jedoch erst, nachdem es von den in Mojave stationierten Experten der US-Luftaufsichtsbehörde begutachtet und zertifiziert worden ist. Vor allem in Afrika und Südamerika greifen Airlines auf gebrauchte Teile zurück, aber längst nicht mehr nur dort, sondern überall, wo gespart werden muss. Manchmal kaufen die Schrotthändler komplette Maschinen auf, manchmal nur den ausgeschlachteten Rumpf. Eine hohle Boeing 747 gibt es für 50 000 Dollar. Es kommt vor, dass der Kadaver eines Jumbos monatelang in der Sonne bleicht, bevor sich das Bruchkommando über ihn hermacht. Es bedarf tausender Arbeiter in hundert Zulieferbetrieben, eine Boeing 747 zu montieren. Drei Mann genügen, sie zu zerlegen. Sie benötigen dazu einen Monat bis zu einem halben Jahr. Es hängt davon ab, was sonst so anliegt und was ihr Kunde in Los Angeles gerade für eine Tonne Schrott zahlt. Als Werkzeug dient den Flugzeugfledderern eine riesige Schere am Ende eines Kranauslegers. Wie ein Raubsaurier beißt sie sich in eine Boeing 747, die einmal für Air India um die Welt geflogen ist, Stück um Stück zerreißt sie ihren Rumpf. Die Aluminiumfetzen wandern an Ort und Stelle in den Schredder. Was von diesem Jumbojet übrig bleibt, sind Schnipsel für den Hochofen. Eines Tages könnte aus ihnen ein neues Flugzeug entstehen. BERLINER ZEITUNG/FRANK JUNGHÄNEL
FRA_LH Geschrieben 11. September 2003 Melden Geschrieben 11. September 2003 Ein wirklich ergreifender Artikel, aber es ist leider die pure Wahrheit!
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