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Vor 20 Jahren: Die Tragödie des koreanischen Passagierflugze


MiG MFI

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Die Tragödie des koreanischen Passagierflugzeuges

 

(MOSKAU) Eigentlich wurde schon alles gesagt, was die Tragödie des südkoreanischen Flugzeuges betrifft, das am 1. September 1983 auf dem Wege von Ancoridge nach Söul durch sowjetische Luftverteidigungskräfte über Kamtschatka abgeschossen wurde.

 

Man sollte meinen, dass es nach der langen Untersuchung und dem Gerichtsprozess in den 90er Jahren in Söul keine Unklarheiten mehr geben dürfte. Ja, es wurde festgestellt, dass das Abweichen vom Flugkurs kein Zufall war, und dass der Pilot in eine Aufklärungsoperation einbezogen worden war, was zum Ausgangspunkt einer Tragödie wurde, die mit dem Tod der Passagiere endete.

 

Nichtsdestoweniger erscheinen auch heute noch, 20 Jahre später, neue Fakten. Einige kann man für eine schlechte Komödie halten: Sie betreffen früher unbekannte Einzelheiten des amerikanischen Abhörens von Funkverbindungen an jenem Tag. Andere sind einfach tragisch. Sie zeigen, wie unsere Welt vor 20 Jahren war. Sie war schrecklich. „Die Nachkriegsära tritt in eine neue Vorkriegsphase ein." So bewertete Papst Johannes Paul II. die Ende 1983 in der Welt entstandene Situation.

 

Aber zunächst über die Tragikomödie im Äther.

 

Auf Kamtschatka war es der frühe Morgen, in Moskau der späte Abend des 1. September und in Washington hellichter Tag, der 31. August 1983, als die amerikanische Funküberwachung in Japan und auf Alaska irgendwelche sonderbaren Funkverbindungen sowjetischer Militärs abhörten. Zunächst beschloss man, dass die UdSSR im Fernen Osten Übungen durchführe, deren Ziel das Abfangen und die Vernichtung eines Luftziels sei.

 

Die amerikanischen Funkaufklärer begriffen damals nicht, was eigentlich geschah, weil alle Gespräche im sowjetischen Äther auf Grund der äußerst angespannten Situation unter Verletzung der Dienstvorschriften von derben russischen Flüchen begleitet waren.

 

An der Aufklärungsfakultät der Militärhochschule in Monterey in Kalifornien wurde Russisch von Emigranten unterrichtet, die Russland in der Zeit nach 1917 und nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen hatten. Botschafter Oleg Grinewski, ein früherer hochrangiger Mitarbeiter des Zentralapparats des sowjetischen Außenministeriums, heute Professor an der Stanford University in Kalifornien, schreibt darüber in seinem Buch „Szenarium für den dritten Weltkrieg" Folgendes: „Die Emigranten der ersten Welle hatten eine recht allgemeine Vorstellung von Schimpfwörtern. Die edlen Matronen mit graumeliertem Haar erachteten es für sehr unanständig, solche Wörter auszusprechen, geschweige denn, sie jemandem beizubrigen. Denn sie werden nach ihrer Meinung vom Pöbel gebraucht. Und die Emigranten der zweiten Welle, obwohl sie schon eine loyalere Einstellung zu solchen Wörtern hatten, kannten sich in der modernen Sonderlexik einfach nicht aus. Es vergingen über 30 Jahre, und die Sprache änderte sich in dieser Zeit stark."

 

Erst später, als das Verschwinden des koreanischen Passagierflugzeuges KAL-007 New York-Söul festgestellt wurde, das 500 km tief in den sowjetischen Luftraum eingedrungen war, wurde der Sinn des Schimpfwort-Dialogs im Äther klar. Das war das Kommando „abschießen". Aber nicht die Lücken in den Russisch-Kenntnissen der amerikanischen Militärs und natürlich nicht die Blutgier des Obersten Ossipowitsch, der damals das sowjetische Jagdlugzeug SU-15 steuerte, wurden zur Ursache der Tragödie. Die 269 Passagiere unterschiedlicher Nationalitäten der koreanischen Boeing wurden Opfer der drastischen Zuspitzung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen Ende 1983. Die Welt stand damals zum erstenmal nach der Karibikkrise am Rande eines Krieges. Dabei entbrannte sein besonders gefährlicher Herd nicht im Fernen, sondern im Nahen Osten.

 

Die Beziehungen zwischen Washington und Moskau, die sich nach dem Machtantritt von Ronald Reagan 1981 buchstäblich jede Minute verschlechterten, verkomplizierten sich im Sommer 1982 ernsthaft, als beschlossen wurde, auf dem Territorium Syriens sowjetische Luftverteidigungskomplexe unterzubringen. Die Fehlerhaftigkeit dieser Entscheidung wurde klar, nachdem über Kanäle des Außenministeriums im Mai 1983 eine Information darüber erhalten worden war, dass Israel beabsichtigte, die Stellungen der sowjetischen Raketen in Syrien anzugreifen, die nur von einigen wenigen Soldaten bedient und geschützt wurden.

 

Der Botschafter Oleg Grinewski war in jenen Tagen Zeuge folgender aufrichtiger Worte von Marschall Ogarkow, Generalstabschef der Sowjetarmee: „Wir werden unter keinen Umständen die Verbindungswege zu dieser Truppengruppierung und deren rückwärtige Versorgung gewährleisten können. Auf dem Festland ist sie durch die Türkei - ein NATO-Mitglied - abgeschnitten. Diese kann im Nu den Bosporus und die Dardanellen absperren, und die 6. US-Flotte wird die Zugänge zu Libanon und Syrien vom Mittelmeer her blockieren. Was müssen wir dann tun: Uns zu dieser Gruppierung durch die Türkei durchschlagen und folglich den dritten Weltkrieg beginnen? Oder die sowjetischen Truppen einer schmählichen Niederlage und der Gefangenschaft überlassen?"

 

Derselbe Ogarkow erörterte damals im Ernst bei der Suche nach einem Ausweg im Verteidigungsministerium die Möglichkeit zur Führung eines Präventivkernwaffenschlages gegen israelische Objekte der Atomindustrie in Dimon, in der Wüste Negev.

 

Ogarkow sprach derart ruhig über einen Kernwaffenangriff, weil seit Anfang der 80er Jahre in der politischen und militärischen Führung der UdSSR und der USA die Meinung zu überwiegen begann, dass in einem militärischen Konflikt der Einsatz von Kernwaffen möglich sei.

 

Man sollte meinen, dass die UdSSR und die USA während der Präsidentschaft von Richard Nixon klar einsahen, dass die Kernwaffen nur einen Abschreckungseffekt hätten, denn widrigenfalls würden einander untragbare Schäden zugefügt werden. Folglich ist ein Kernwaffenkrieg sinnlos. Darin kann man nicht siegen. Diese Sachlage war im SALT-1-Vertrag und im ABM-Vertrag verankert, die im Mai 1972 in Moskau abgeschlossen worden waren. Was hatte sich aber Anfang der 80er Jahre geändert? Im Februar 1983 erschien Reagans Direktive Nr. 32, die die Möglichkeit vorsah, einen langandauernden Kernwaffenkrieg gegen die UdSSR zu führen. Dem ging der Ende der 90er Jahre in der Zeitung The New York Times enthüllte CIA-Bericht „Die sowjetischen Möglichkeiten in einem strategischen Kernwaffenkonflikt 1982-1992" voran. Darin wurde darauf verwiesen, dass die militärstrategischen Programme der Sowjetunion auf „eine weitere Änderung der militärischen Komponente im Kräfteverhältnis zugunsten der UdSSR und deren Verbündeter gerichtet sind. Sie strebt die Überlegenheit in einem Kernwaffenkrieg an und arbeitet an der Erhöhung ihrer Chancen, in einem solchen Konflikt zu siegen".

 

In Moskau wussten das alle.

 

Im Frühjahr 1983 hielt Präsident Reagan zwei Reden. Zunächst erklärte er am 8. März die Sowjetunion für ein „Reich des Bösen" und initiierte zwei Wochen danach das SDI-Programm („Strategische Verteidigungsinitiative"), das als „Sternenkriege" bekannt ist.

 

Danach hatte Moskau nach einem Zeugnis Grinewskis schon keinen Zweifel mehr daran, dass Washington darauf aus war, das Kräftegleichgewicht zu seinen Gunsten gerade dafür zu ändern, einen plötzlichen Kernwaffenerstschlag zu führen und dadurch den Antwortschlag der Sowjetunion abzuschwächen. Die UdSSR bereitete sich ernsthaft auf diesen scheinbar unvermeidlichen Krieg vor. Gerade in diesen Tagen erschien das südkoreanische Passagierflugzeug im sowjetischen Luftraum. Was hatte es mit der Zuspitzung der Konfrontation zwischen den beiden Supermächten zu tun?

 

Die Militäraufklärer betrachten Versuche, eine Aktivierung des Raketenabwehr- und des Luftverteidigungssystems des wahrscheinlichen Gegners zu provozieren, die Schemen seines Funktionierens zu bestimmen und darin die Schwachstellen zu finden, als eines der Hauptvorzeichnen eines in Vorbereitung befindlichen Überfalls. Gerade kurz vor dem 1. September 1983 verletzten Aufklärungsflugzeuge der US-Luftstreitkräfte mehrmals den sowjetischen fernöstlichen Luftraum. Aber damals ließ sich das tief gestaffelte System der sowjetischen Luftverteidigung in diesem Raum nicht provozieren und wurde nicht aktiviert. In Moskau war man sich sicher, dass der Nachtflug der KAL-007 über dem Territorum Kamtschatkas ein frecher Versuch der USA war, um jeden Preis die sowjetischen Stationierungsräume der Luftverteidigung zu zwingen, sich zu „verraten". Dass sich in der als Passagierflugzeug getarnten Maschine wirklich Passagiere befinden könnten, kam in jener Situation einfach niemandem in den Sinn. Deshalb wurde beschlossen, das Flugzeug abzuschießen.

 

So war die Welt vor 20 Jahren. Der Herbst 1983 hätte in der Geschichte der modernen Zivilisation der letzte gewesen sein können. (Andrej Kisljakow, politischer Kommentator der RIA „Nowosti")

 

http://www.russlandonline.ru/rupol0010/mor...s.php?iditem=91

Geschrieben

ein interessanter und m.E. nach heutigen Erkenntnissen darüber recht neutral gehaltener Artikel über den tragischen (und jetzt werden mich einige foltern aber zu Zeiten des kalten Krieges, entschuldigung, mir fällt grad kein anderer Begriff ein, drum sag ich mal) """gerechtfertigter""" Abschuss des Flugzeuges.

 

Ich verurteile genauso vehement, dass dabei Zivilisten aufgrund von militärischen Machtspielen missbraucht wurden. Ebenso sind meine Gedanken wesentlich mehr bei den unschuldigen Opfern. Es war leider wohl leider ein massiver Verstoss gegen die damaligen "Spielregeln".

 

Vielen Dank für diesen Beitrag, er bringt wieder ein fast vergessenes Verbrechen, egal von welcher Seite, in Erinnerung.

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