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Tokyo: Landungen auf gesperrter Bahn


Chris99

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Gefunden bei Spiegel:

 

Tohuwabohu im Tower

 

Von Joachim Hoelzgen

 

Die Katastrophe konnte gerade noch verhindert werden, doch es war mehr als knapp: Fluglotsen des Mega-Airports Haneda in Tokio befahlen nacheinander einer Boeing 777 sowie einem Airbus, eine Piste anzufliegen, die wegen Bauarbeiten gesperrt war.

 

 

Tokio - Immer wieder sorgt Haneda, der riesige Inlandflughafen von Tokio, für negative Schlagzeilen. Zum bisher bizarrsten Zwischenfall kam es im Juli 1999, als kurz nach dem Start eines Jumbos der All Nippon Airways ein Mann in das Cockpit eindrang und den Flugkapitän mit einem Küchenmesser tötete. Schließlich setzte sich der Attentäter an den Steuerknüppel und versuchte, die Maschine mit 503 Insassen an Bord auf einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe Tokios zu landen.

 

Erst das Eingreifen einer Reserve-Crew konnte das Desaster abwenden. Sie überwältigte den Ex-Studenten, als die schwere Maschine nur noch 200 Meter hoch über dem Boden war. Der damals 28-Jährige, der das Fliegen an seinem Computer-Simulator geübt hatte, wurde im März dieses Jahres zu lebenslanger Haft verurteilt.

 

Diesmal aber, beim jüngsten gefährlichen Vorkommnis auf Haneda, war kein geistig Verwirrter schuld an der Beinahe-Katastrophe. Jetzt steht die Zivilluftfahrtbehörde Japans am Pranger. Denn ausgerechnet im Kontrollturm des Airports, der mit 62,8 Millionen Passagieren jährlich Asiens größter Flughafen ist, brach am Abend des 29. April ein beispielloses Chaos aus. Es bedrohte nacheinander eine Boeing 777 und einen Airbus A 300 der Gesellschaft Japan Airlines (JAL), die sich im Anflug auf den Airport befanden.

 

Runway 34 L gesperrt

 

Haneda besitzt drei Start- und Landebahnen. Doch die Fluglotsen bestanden hartnäckig darauf, dass die Maschinen den Runway 34 L benutzen sollten. Dabei waren just auf dieser Piste Reparaturarbeiten vorgesehen. Beim Briefing vor Schichtbeginn was darauf aber nicht hingewiesen worden - und von den Lotsen erinnerte sich erstaunlicherweise keiner an die Sperrung, obwohl sie immerhin auf einem Zettel am Schwarzen Brett vermerkt war.

 

 

So kam es, dass vier Minuten vor der geplanten Schließung der Landebahn zunächst die Boeing 777 aufgefordert wurde, die Bau-Piste anzusteuern. Per Sprechfunk erhoben die Piloten jedoch Einspruch. Ihnen lag eine Warnung vor, eine sogenannte Notice to Airmen (Notam), auf der die Landebahn 34L als nicht verfügbar ausgewiesen war.

 

Der Lotse aber ging nicht darauf ein und blieb bei der Anordnung. Und nur eine Minute danach wies er den Airbus A 300 der JAL gleichfalls auf die Piste 34 L ein. Doch auch die Cockpit-Crew des Airbus hatte die Notam-Notiz gelesen - und wies ebenso vergeblich auf sie hin. Unbeirrt erhielten die Piloten die Order, den Landeanflug fortzusetzen.

 

Im Kontrollturm Hanedas habe wohl "ein Fall von Massen-Gedächtnisschwund" um sich gegriffen, schrieb das US-Fachmagazin "Aviation Week & Space Technology", das in zwei Ausgaben über die Vorgänge berichtet hat.

 

Fatales Unglück

 

Und offenbar hatten die Fluglotsen auch vergessen, dass es auf einem anderen Flughafen der Region bei nächtlichen Bauarbeiten zu einem fatalen Unglück gekommen war. Dabei rollte am 31. Oktober 2000 eine Boeing 747-400 der Singapore Airlines auf dem Chiang-Kai-shek-Airport nahe Taipehs aus Versehen auf die falsche Startbahn. Beim Abheben rammte der Großraumjet zwei Bagger und zerbrach in mehrere Teile. Dutzende von Passagieren konnten sich retten, doch 83 verloren ihr Leben.

 

Glück hatte hingegen der Airbus A 300, welcher der gesperrten Landebahn auf Haneda entgegenschwebte. Den Piloten kam das Verfahren weiterhin nicht geheuer vor. Sie sprachen deshalb den Kontrollturm erneut an. Ohne Erfolg. Diesmal bestanden gleich zwei Lotsen darauf, dass auf Piste 34L gelandet werden müsse.

 

Das tat der Airbus dann auch - gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Bauarbeiten. Nun aber näherte sich die Boeing 777, und mit ihr erreichte das Tohuwabohu im Tower seinen Höhepunkt.

 

Plötzlich wurde den anfliegenden Piloten mitgeteilt, dass die Landebahn 34 L geschlossen sei. Sie sollten, hieß es nun, die Parallelpiste 34 R gebrauchen. Doch kaum hatte der Lotse das ausgesprochen, nahm er alles zurück und ordnete an, nun doch wieder auf Piste 34 L zu landen.

 

Auf 900 Meter steigen

 

Dazu aber kam es zum Glück nicht mehr, da man im Kontrollturm endlich den Irrtum erkannte. Die Boeing 777 musste durchstarten und erhielt die Instruktion, auf 900 Meter zu steigen.

 

Inzwischen gab es wegen des Wirrwarrs ein Nachspiel. Fünf Fluglotsen erhielten von der Zivilluftfahrtbehörde einen mündlichen Verweis. 13 andere Lotsen, denen kein direkter Fehler nachzuweisen war, die aber die Schließung der Landepiste übersehen hatten, kamen ohne Verweis davon. Sechs Top-Beamte der Behörde dagegen wurden der Zustände im Tower wegen kritisiert, was in Japan schwer wiegt.

 

Und schließlich erhielten sechs weitere Beamte einen Verweis in anderer Sache. Sie hatten es zugelassen, dass eine Metallstange samt Überwachungskamera zu nahe an einer der Runways montiert worden war. Prompt kollidierte ein Jumbo der Japan Airlines mit der Stange. Eine der Tragflächen wurde zwei Meter weit aufgeschlitzt.

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