Gast Jörgi Geschrieben 2. Oktober 2005 Melden Geschrieben 2. Oktober 2005 Spiegel-Gespräch: Der neue Airbus-Chef Gustav Humbert über deutsch-französische Kleinkriege im Mutterkonzern EADS, die Startprobleme seines Supervogels A 380 und den Kampf gegen die Boeing-Konkurrenz SPIEGEL: Herr Humbert, ist Airbus ein normales Unternehmen? Humbert: Airbus ist ein normales, aber in vieler Hinsicht auch ein ganz besonderes Unternehmen. Wenn Sie unsere multinationale Firmenkultur, unsere technologische Spitzenposition und die grenzüberschreitende Vernetzung der Standorte nehmen, dann sind wir ohnehin einzigartig. Aber Entscheidungen und Produkte entstehen bei uns wie überall nach wirtschaftlichen Kriterien. SPIEGEL: Wir haben einen anderen Eindruck. In der ersten Hälfte des Jahres schien sich Airbus in monatelangen deutsch-französischen Machtkämpfen um die Führung geradezu selbst zu zerfleischen. Humbert: Reden Sie von Airbus selbst oder von unserer Muttergesellschaft EADS? SPIEGEL: Sowohl als auch, zumal Airbus ja den Löwenanteil der EADS-Umsätze und Gewinne liefert. Das ist ein bisschen wie der Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Humbert: Sicher haben die öffentlichen Personaldebatten niemandem gefallen, auch mir nicht. Doch die politische Diskussion um Personen ist vorbei, und ich bin froh, dass die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens auch diesmal wieder Vorfahrt bekamen. Außerdem kenne ich keine strategische Diskussion innerhalb unseres Hauses, die primär politisch betrieben war. Wir haben immer rein wirtschaftlich entschieden. SPIEGEL: Politikferne sieht anders aus. In kaum einem anderen Unternehmen wachen vor allem deutsche und französische Anteilseigner so eifersüchtig darüber, dass die Machtverhältnisse immer fein austariert sind: Wo ein Deutscher führt, muss auf der nächsten Etage ein Franzose regieren und umgekehrt. Humbert: Das stimmt so nicht. Und bei Airbus schon gar nicht. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auf meinem Stuhl auch mal ein Amerikaner oder Asiate sitzen könnte. SPIEGEL: Ist das Ihr Ernst? Humbert: Durchaus. Dass es bislang meist Franzosen oder Deutsche sind, liegt sicher an der Historie von Airbus mit mehrheitlich französischen und deutschen Anteilseignern, aber auch an unserer guten Personalpolitik. Wir haben einfach eine Menge fähiger Europäer im Management. SPIEGEL: Auch Ihrer Ernennung Ende Juni ging eine hochpolitische Diskussion voraus, in die sich sogar Frankreichs Staatschef Jacques Chirac eingeschaltet hat. Humbert: Und? Heute führt ein Deutscher ein Unternehmen, das in Frankreich als Perle der Industrie gilt. Sie sehen also, am Ende war der Pass nicht entscheidend ... SPIEGEL: ... weil Ihre Inthronisation auch ein Beleg dafür ist, dass Ihr französischer Vorgänger Noël Forgeard zu hoch gepokert hat: Er wollte alles kontrollieren und findet sich nun auch bei der EADS in einer Doppelspitze wieder - mit dem Deutschen Thomas Enders. Humbert: Zunächst: Noël Forgeard hat Airbus in den letzten sieben Jahren zu einem Erfolg geführt, um den uns viele beneiden. Das wäre nie möglich gewesen, wenn Entscheidungen, wie Sie sagen, nur von der Farbe der Pässe abhängig wären. Sicher war in der jetzigen Situation klar, dass nur ein Europäer an die Airbus-Spitze kommen konnte, denn davon haben wir bei Airbus und unseren Shareholdern EADS und BAE Systems eine gute und reiche Auswahl. Wie auch immer: Ich fühle mich nach 25 Jahren Airbus bestens in der Lage, dieses faszinierende Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. SPIEGEL: Sie empfanden sich noch nie als Figur in einem großen Standort-und-Posten-Schachspiel? Humbert: Dieses subjektive Empfinden hat wohl jeder Manager mal im Leben. Aber ich habe hier weder einen politischen noch einen nationalen, sondern einen reinen Airbus-Auftrag. SPIEGEL: Hat sich das monatelange Postengeschacher zwischen deutscher und französischer Eignerseite auf Ihr Tagesgeschäft ausgewirkt? Humbert: Nein. Wir haben ganz andere Prioritäten. Wir müssen uns auf unsere Kunden und unsere Produkte konzentrieren. SPIEGEL: Die Entwicklungskosten für Ihre A 380 zum Beispiel schwollen stark an. Der Supervogel kostet deutlich mehr als ursprünglich veranschlagt. Viele Ihrer Airline-Kunden sind zudem verärgert, dass sich die geplante Auslieferung um mindestens ein halbes Jahr verzögern wird. Humbert: Das will ich gar nicht kleinreden: Wir werden begrenzte Überschreitungen bei den Entwicklungskosten haben und rund sechs Monate Verzögerung bei den ersten Auslieferungen. Und ich sage ganz offen: Wir haben das unseren Kunden nicht optimal kommuniziert. Aber wenn man, wie wir, das größte Passagierflugzeug der Welt baut, dann stößt man bei all der Komplexität des Projekts eben auch immer wieder auf ungeahnte Herausforderungen. SPIEGEL: Welche konkret? Humbert: Anfangs war die A 380 - wie in dieser Branche nicht unüblich - schlicht zu schwer. Da mussten wir wesentliche Teile von vorn wieder neu, nämlich leichter entwickeln. Daraus resultierten etwa die Hälfte unserer Verzögerungen, aber eben auch Mehrkosten. Zweitens haben unsere Kunden uns mit viel mehr Detailfreude und Innovationswünschen bei der Gestaltung des Innenraums überrascht. SPIEGEL: Wollen Sie etwa sagen, die Airlines mischen sich zu sehr ein? Humbert: Nein, im Gegenteil, dazu ermuntern wir sie sogar. Für unsere Kunden ist die A 380 Flaggschiff und Prestigeobjekt. Besonders in der First- und Business-Klasse wollen die Airlines zeigen, was sie haben und können. Da haben wir uns verschätzt, was deren Wunsch nach Kreativität und Luxus angeht. Aber die gute Botschaft daran ist ja: Unsere Kunden sehen in der Gestaltung der A-380-Kabine ein ungeheures Potential. Das bewältigen wir jetzt mit zusätzlichen Ingenieurteams. Und das werden wir auch schaffen, denn das sind anfassbare Themen, die man mit entsprechendem Einsatz in den Griff bekommen kann. Es gibt keine Unklarheiten mehr. Trotzdem: Es wird bei einer Verzögerung von sechs Monaten bleiben, denn die ersten Maschinen werden bis Ende 2006 ausgeliefert. Nicht früher, aber auch nicht später. SPIEGEL: Manche Airlines drohen, die Zeitprobleme finanziell geltend zu machen. Um welche Größenordnung geht es dabei? Humbert: Das hängt von jedem einzelnen Vertrag ab. Das tut uns zwar weh, bringt uns aber nicht um. SPIEGEL: Haben Sie schon Rückstellungen bilden müssen? Humbert: Nein. Dazu gibt es keine Notwendigkeit. Das werden wir intern kompensieren. SPIEGEL: Einer der wichtigsten Tests steht der A 380 noch bevor: Innerhalb von 90 Sekunden muss eine mit der maximal möglichen Zahl von 873 Passagieren besetzte Maschine evakuiert werden ... Humbert: ... und das auch noch durch die Hälfte der Türen. Alle Flieger müssen diesen Test im Rahmen der Zulassung mitmachen und bestehen. Nach unseren Berechnungen und Simulationen wird das auch bei der A 380 klappen. SPIEGEL: Und praktisch ... Humbert: ... werden wir es im Januar oder Februar sehen. Nehmen wir an, es läuft nicht alles nach Plan, und wir bestehen den Test in den 90 Sekunden nur mit 750 Personen, dann wird die Maschine zunächst für bis zu 750 Passagiere zugelassen. Bislang planen unsere Airline-Kunden aber, die A 380 mit nur 440 bis 480 Sitzen zu bestuhlen. Das dürfte also kein größeres Problem sein, auch wenn wir natürlich die Maximalauslastung beweisen wollen und werden. SPIEGEL: Airbus muss mindestens 250 dieser Riesenjumbos ausliefern, um in die Gewinnzone zu fliegen. Wie viele haben Sie bislang verkauft? Humbert: Wir haben bereits 159 Kaufverträge und Absichtserklärungen, was für ein derartiges Flugzeug einen Rekord darstellt, mehr als ein Jahr vor der Erstauslieferung. Und wir rechnen mit einem weltweiten Bedarf von rund 1650 Flugzeugen in den nächsten 20 Jahren. Selbst wenn unser Wettbewerber noch ein Konkurrenzmodell bauen würde, was er selbst vorläufig als unwahrscheinlich bezeichnet, und wir nur die Hälfte davon liefern würden, wäre es also ein gutes Geschäft. Bedenken Sie zudem die gewaltigen Wachstumsraten in Ländern wie China, Indien und Russland. SPIEGEL: Boeing glaubt an das Wachstum von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen und baut deshalb den deutlich kleineren "Dreamliner" 787 ... Humbert: ... während wir sagen, dass das Passagierwachstum sowohl mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen als auch über Drehkreuze mit der dafür gebauten, größeren A 380 Erfolg verspricht. SPIEGEL: Hängt die Existenz der beiden weltgrößten Flugzeugbauer also letztlich von einer Glaubensfrage ab? Humbert: Sicher nicht. Dazu gibt es ja genaue Berechnungen. Wir sind mit unserer Modellpalette einfach besser aufgestellt, um beide Anforderungen der Airlines künftig bedienen zu können. SPIEGEL: An US-amerikanische und japanische Fluglinien haben Sie noch keinen Ihrer fliegenden Giganten verkaufen können. Humbert: An Japan arbeiten wir, und da spielt in der Tat der politische Einfluss der USA eine Rolle. In den USA gibt es überhaupt nur zwei Fluggesellschaften, die bislang die einzig vergleichbare 747 von Boeing fliegen: United und Northwest. Der größte Markt für die A 380 liegt sowieso in Asien und im Mittleren Osten sowie in Europa. Und da stehen wir sehr gut da. SPIEGEL: Angeblich gibt es auch Verzögerungen bei Ihrem neuen, kleineren Langstreckenjet A 350. Woran liegt das? Humbert: Nein, da sind wir voll im Plan. Aber wir haben eine spannende Phase hinter uns. Zunächst dachten wir, eine verlängerte Version der A 330 würde reichen. Jetzt hat sie 90 Prozent neue Einzelteile, völlig neue Materialien, neue Triebwerke. So wie es von der 787 von Boeing zwei Typen geben wird, werden auch wir zwei Modelle anbieten, die sich um rund 40 Sitze unterscheiden. Unsere sind größer, schneller und günstiger als die der Konkurrenz aus Seattle ... SPIEGEL: ... die aber auch zwei Jahre Entwicklungsvorsprung hat. Ihnen wird von Großkunden wie der Lufthansa vorgeworfen, dass man für das Prestigeprojekt A 380 die Weiterentwicklung vieler inzwischen angejahrter Modelle vernachlässigt habe, weil einfach die Ingenieure fehlten. Humbert: Abgerechnet wird zum Schluss. Aber auch diese Kritik nehme ich ernst, obwohl sie mit Blick auf eine alte Produktpalette viel eher Boeing trifft als uns. Wir haben bereits massiv Leute eingestellt und wollen allein in den nächsten 18 Monaten weitere 1200 zusätzliche erfahrene Entwickler gewinnen. Es ist aber zum Beispiel in Deutschland gar nicht so leicht, Nachwuchs zu bekommen. Wir haben deshalb Ingenieurzentren in den USA, Russland und jetzt China aufgebaut und werden auch nach Indien gehen. SPIEGEL: Auch für die A 350 erwarten Sie sich Milliardensubventionen. Dagegen klagt nun die US-Regierung im Interesse von Boeing vor der Welthandelsorganisation. Humbert: Stopp: Wir bekommen keine Subventionen, sondern Darlehen für die Entwicklungskosten. Diese werden dann verzinst an die Regierungen zurückgezahlt. Zur WTO-Klage: Beide Seiten können kein Interesse an so einem Verfahren haben, das am Ende nur Scherben produziert und allenfalls Anwälte glücklich macht. Wir setzen weiter auf eine außergerichtliche Lösung und haben uns nichts vorzuwerfen, zumal Airbus und die europäischen Regierungen sich eins zu eins an geltende Verträge halten. Boeing hingegen erhält staatliche Milliarden-Zuschüsse, die sie außerdem niemals zurückzahlen müssen ... SPIEGEL: ... wogegen die Europäer wiederum per Klage konterten. Wie wird der Krach ausgehen? Humbert: Noch mal: Es hat keinen Sinn, sich wie die Ziegenböcke gegenseitig die Köpfe einzurennen. Hier muss eine Verhandlungslösung her, die eine Gleichbehandlung der europäischen und der amerikanischen Flugzeugindustrie sicherstellt. Denn heute gibt es ein Ungleichgewicht zu Lasten von Airbus. SPIEGEL: Und trotz all dieser Auseinandersetzungen glauben Sie wirklich, ausgerechnet auf dem Heimatmarkt Ihres Konkurrenten überzeugen zu können - etwa mit Ihrem neuen Tankflugzeug? Humbert: Klar. Wir haben weltweit bei jeder Ausschreibung bisher mit unseren Tankern gegen Boeing gewonnen. Warum also nicht auch in den USA? Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir - gemeinsam mit unserem Kooperationspartner Northrop Grumman - in den USA bestens aufgestellt sind. SPIEGEL: Wie lange wird Airbus eigentlich noch europäisch sein? DaimlerChrysler könnte 2007 steuergünstig sein 30-prozentiges Aktienpaket verkaufen. Auch die Briten erwägen angeblich einen Rückzug. Dann hätten die Franzosen am Ende doch gewonnen, und Sie wären womöglich der erste und zugleich letzte deutsche Airbus-Chef. Humbert: Jetzt bringen Sie schon wieder das nationale Vorurteil. Schauen Sie sich lieber unsere Zahlen an! Mit rund zehn Prozent Rendite liefern wir unseren Aktionären gute Gewinne - und unseren Kunden bieten wir mit Erfolg die modernste Familie von Flugzeugen an. Das macht uns attraktiv für unsere Shareholder. Wir konzentrieren uns darauf, dass dies auch so bleibt. Darüber hinaus steht es mir nicht an, über die Absichten unserer Aktionäre zu spekulieren. SPIEGEL: Was Industriepolitik angeht, sind die Franzosen jedenfalls nicht zimperlich. Humbert: Warum sprechen Sie hier nur von den Franzosen und nicht von den Deutschen? Airbus Deutschland hat heute etwa 20.000 Mitarbeiter; das sind rund 2000 mehr als bei Airbus France. Und nur, weil die Zentrale, die ja nicht unmittelbar an der industriellen Wertschöpfung beteiligt ist, in Toulouse sitzt, haben wir in Frankreich insgesamt mehr Leute. SPIEGEL: Seit fünf Jahren sitzen Sie für Airbus schon in Toulouse. Denken Sie eigentlich noch deutsch oder schon französisch? Humbert: Mein Pass ist deutsch, meine Wurzeln sind deutsch. Ich liebe es, in Deutschland zu sein, und ich lebe gern in Frankreich. Aber meine Nationalität ist Airbus. SPIEGEL: Herr Humbert, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. DAS GESPRÄCH FÜHRTEN DIE REDAKTEURE STEFAN AUST, DINAH DECKSTEIN UND THOMAS TUMA http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,377479,00.html
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