NoCRJ Geschrieben 12. September 2006 Melden Geschrieben 12. September 2006 http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,436477,00.html Schon klar, welche Argumente jetzt hier wieder kommen... ;-) ... wollte Euch trotzdem informieren. Gruesse NoCRJ
kingair9 Geschrieben 12. September 2006 Melden Geschrieben 12. September 2006 Muß auch sagen - für Spiegel-Verhältnisse ein recht vernünftig rechercierter (von TU widebody abgesehen) und dargstellter Bericht.
dschoene Geschrieben 13. September 2006 Melden Geschrieben 13. September 2006 Ich würde eher sagen, die ganze Sache ist "für Westeuropäer vorgekaut" - also, von einem ernsthaften Journalisten mit etwas Sachverstand kann man schon mehr Detailinformationen erwarten. "Die Großraumflugzeuge Ilyushin und Tupolev". Das verbuchen wir doch mal einfach unter Ulk, oder? Fangen wir mal an, daß das zwei HERSTELLER sind. Mit einem Satz, wie "die Großraumflugzeuge Airbus und Boeing" - hätte er wohl kaum die Redaktionssitzung überstanden. Weiters scheint dem Herrn entgangen zu sein, daß Sibir eine westliche Maschine in Irkutsk geschrottet hat und dass es sich hierbei für Sibir um den erst zweiten Unfall überhaupt handelt, für den die Airline in irgendeiner Form verantwortlich gemacht werden kann. Vor etlichen Jahren, haben sie mal 'ne Tupolev in Omsk geschrottet (vereiste Landebahn) und jetzt die A310. Die beiden Tu-154, die man verlor, eine wurde 2001 vom ukrainischen Militär über dem schwarzen Meer mit einer Rakete abgeschossen, die zweite beim Doppelanschlag über Tula von Tschetschenen hochgejagt. Also ist die russische Luftfahrt nicht ein Stück sicherer oder unsicherer als im Westen. Man sollte auch nicht vergessen, daß die letzten Tu-154M noch kein Jahr alt sind und daß z.B. Krasair, Dalavia, Vladivostok Avia auf relativ neuen Tu-204 und Tu-214 fliegen. Alle mal besser, als ein 20 Jahre alter Airbus. Macht wieder mal 'n schönes Klischee - aber ernsthaft recherchiert ist es wohl kaum. Ich habe etliche Inlandsflüge in Rußland hinter mir und ein mulmiges Gefühl hatte ich nie. Im Gegentum. Der Flug mit dba von Berlin nach Moskau auf 'ner geriatrischen B737 war für mich schlimmer als der anschliessende Weiterflug mit Sibir's Tu-154 nach Omsk. Zu Consortas á la Helios, Onur Air und so weiter hätte ich im Ernstfall weniger Vertrauen...
Agent FSB Geschrieben 13. September 2006 Melden Geschrieben 13. September 2006 Wenn man die Statistik und keine Propaganda anschaut wird es schnell klar, dass grosse russische Fluggeselschaften nicht nur sicher sind sondern sichere als manche "aus dem Westen". Hier ist die Statistik.
STR-SEA Geschrieben 13. September 2006 Melden Geschrieben 13. September 2006 Wenn man die Statistik und keine Propaganda anschaut wird es schnell klar, dass grosse russische Fluggeselschaften nicht nur sicher sind sondern sichere als manche "aus dem Westen". Hier ist die Statistik. Mag sicher sein, nur dann sollte man evtl. auch mal die Flottengröße der ganzen Airline mit russischen Airline vergleichen. Zudem sind Statistiken immer so ein Ding... Aber das ist nen anderes Thema. Wollte nur sagen, dass man nicht einfach sagen kann, dass Airline X sicherer ist, als Y, einfach weil es da eine Menge Faktoren gibt....
dschoene Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Wenn man die Statistik und keine Propaganda anschaut wird es schnell klar, dass grosse russische Fluggeselschaften nicht nur sicher sind sondern sichere als manche "aus dem Westen". Hier ist die Statistik. Mag sicher sein, nur dann sollte man evtl. auch mal die Flottengröße der ganzen Airline mit russischen Airline vergleichen. Zudem sind Statistiken immer so ein Ding... Aber das ist nen anderes Thema. Wollte nur sagen, dass man nicht einfach sagen kann, dass Airline X sicherer ist, als Y, einfach weil es da eine Menge Faktoren gibt.... Du sprichst mir aus der Seele. Nummer 1 in der Betrachtung ist da die Infrastruktur. Nen Flieger heil auf einem hochmodernen Airport wie TXL oder FRA zu landen, sollte jede Airline hinbekommen. Wer aber schon mal Airports, wie Omsk Zentralnyi oder Bykovo gesehen hat, der fragt sich, warum da nicht mit stoischer regelmäßigkeit ein Flieger abschmiert. Die relativ häufigen Unfälle in Irkutsk (siehe zuletzt Sibir A310) sind sicher kein Zufall, das ist 'ne Selbstmörder-Piste, also sollte man nicht immer sofort auf die Airlines zeigen. Airports, die von Airlines oder großen Firmen betrieben werden, wie Moskau-Domodedovo oder Moskau-Sheremetyevo stehen den westlichen Pendants in nichts nach und sind weniger Unfall-anfällig. Flottengröße ist bei großen Airlines, wie Aeroflot, Pulkovo, Kras Air oder Sibir durchaus vorhanden, zumal sich einige auch in Allianzen befinden (z.B. Air Union : Kras Air, Domodedovo, Omskavia, Samara) Auch sollte man wissen, daß es mittlerweile einen guten technischen Standard gibt. Wer in DME mal schaut, wie gepflegt selbst die alten IL-62 von Domodedovskiye oder die Horden alter Tu-134 von Truppenteilen a la Tatarstan aussehen, der weiß das die Zeiten klappriger und versiffter Seelenverkäufer vorbei sind. Die Marktwirtschaft hat auch in der kalten Heimat Einzug gehalten. Alles in allem würd' ich behaupten, wenn man eine europäische Fluglinie mit westlichem Material das Streckennetz von Sibir oder Kras Air bedienen liesse, würden die wahrscheinlich jedes Jahr einen Vogel schrotten, denn so manche Piste ist Gift für das fragile fahrwerk einer 737...
kingair9 Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Alles in allem würd' ich behaupten, wenn man eine europäische Fluglinie mit westlichem Material das Streckennetz von Sibir oder Kras Air bedienen liesse, würden die wahrscheinlich jedes Jahr einen Vogel schrotten, denn so manche Piste ist Gift für das fragile fahrwerk einer 737... Das kan nich voll unterschreiben. Jederzeit lieber mit einem Typ-erfahrenen Captain auf einem den Umweltbedingungen angepaßten Vogel à la TU5 nach Sibirien als mit einer Second Hand 737 und einem Typ-unerfahrenen Kutscher.
NoCRJ Geschrieben 14. September 2006 Autor Melden Geschrieben 14. September 2006 @dschoene und kingair9 Vielen Dank fuer Eure Beitraege, dadruch scheint das ja mal die erste wirklich zu 100% sachlich gefuehrte Diskussion zur Luftfahrt in Russland in diesem Forum zu sein. Und Ihr kennt das Land ja auch gut. Daher habe ich als einer, der weder das Land noch die Fliegerei dort kennt, einfach einmal ein paar Fragen. Sie hoeren sich sicherlich klischeehaft an, es sind aber keine Suggestivfragen, ich habe halt wirklich keine Ahnung. Ich will hier auch nicht die Karrikatur des immer besoffenen oder immer schlampigen Russen malen, aber nachdem es ja eine Tatsache ist, dass Russland stark unter alkoholbezogenen Problemen leidet (siehe zB grosser Artikel diese Woche im Economist, sicher serioes), bin ich nicht so naiv zu glauben, dass Luftfahrtbeschaeftigte eine "Insel der Trockenen" darstellen. Die wenigsten Unfaelle sind wahrscheinlich aufgrudn von Alk-Einfluss passiert (habe ich jetzt nicht recherchiert). Aehnliches Klischee ist das der heruntergekommenen und veralteten Infrastruktur, die zwar so auch sicher nicht stimmt, aber es scheint dort wohl auch verschiedenen Schattierungen von weiss zu geben. Also: Waehrend ich sicherlich nicht an das Klischee glaube, dass in Russland oder der ex-SU produzierte Flugzeuge unsicherer und die Besatzungen inkompetenter sind, wuerde mich trotzdem Eure Einschaetzung folgender Aspekte interessieren: 1) Verlaesslichkeit der Cockpit-Besatzungen. Klar, die koennen fliegen und kennen ihre Muehlen und ihre Plaetze. Aber ist es denn nicht auch so, dass in Russland sehr viel oefter alkoholisierte Piloten in der Kanzel sitzen? Und dass sie insgesamt etwas "laxer" in der Ausuebung gewisser Sicherheitsvorkehrungen sind (ich erinnere mich an den in der Pax-Kabine schlafenden Kapitaen in Vladivostok in Deinem Reisebericht, kingair)? 2) Analoge Fragen zu Instandhaltung und ATC: was hilft mir ein erfahrener Controller, wenn er schlampig arbeitet oder leicht bedunstet vor seinem Schirm sitzt? Oder der dann eben nicht so pingelige Triebwerksmechaniker? 3) Ihr habt die Infrastruktur ja schon angesprochen. Wie sieht es damit aus? Wie modern ist ATC dort? Sind die Systeme zuverlaessig? Gibt es Zahlen oder Erfahrungsberichte ueber "gefaehrliche Situationen" (=near misses) aufgrund von ATC? 4) Wie schaut es mit der Infrastruktur am Boden aus? Ihr schreibt oben etwas von Zustaenden zB in Omsk, aber aehnliches gilt ja sicher auch anderswo. Woran genau hapert es da? Wie sieht es mit Rettungskraeften aus?
kingair9 Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Ich kann zum Thema ATC nichts wirklich fachliches hinzufügen. Ich weiß aber aus verschiedenen Berichten (unabhängig voneinander), daß in den Zeiten der UdSSR (auch da gab es ja schon ein Alkoholproblem) kurze medizinische Untersuchungen vor jedem Umlauf (!) gemacht wurden. Dieses ist wohl bei SU und S7 noch immer so, daß immer vor Dienstantritt (zumindest bei Dienstantritt in Russland, nicht nach Layovern im Ausland) eine Flugtauglichkeitsuntersuchung incl. Alk-Test durchgeführt wird. Welche Gesellschaften konkret dies so handhaben entzieht sich meiner Kenntnis, SU und S7 angeblich schon. Zur Infrastuktur allgemein: Ja, diese ist teilweise auf einem Niveau wie es in Westeuropa in den 60ern war. Nach dem S7-IKT crash ging es auch hier im Forum um Feuerwehrautos in RUS und auch in D, speziell bei den kleineren Wehren und den freiwilligen scheint da auch in D nicht alles Gold zu sein was glänzt. Die Frage, ob bei einem crash modernste Feuerwehrfahrzeuge mehr Menschen retten können als die älteren, jetzt eingesetzten, beantwortet der Menschenverstand mit ja, fachlich kann ich aber auch dazu nichts sagen. Das ganze Land und damit auch die Luftfahrt und Infrastruktur befindet sich in einem Spagat - der Lücke zwischen altem UdSSR Standard und neuen Prestige- und Prunkobjekten wird immer größer. Um ein Beispiel aus der Luftfahrt herbei zu ziehen: Was bringen mir tolle neue Terminals in DME, VKO und demnächst SVO3 wenn die Feuerwehr technisch in den 60ern lebt? Aber das ist gerade das faszinierende an Russland, mit welcher "Macher"-Mentalität die Leute sich mehr und mehr selber am Schopf aus dem Sumpf ziehen - und wenn etwas mit Draht und Kaugummi repariert wird. Im Luftfahrtbereich würde auch ich heute noch einen großen Unterschied zwischen in den "Westen" operierenden Gesellschaften und lokalen Gesellschaften, die Ihre Region an Moskau anschließen, sehen. ZWar haben sich auch diese deutlich verbessert aber es bleibt ein großer Abstand zu den Top-Linien Russlands und noch größer zu den Linien des "Westens".
Agent FSB Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Ich will hier auch nicht die Karrikatur des immer besoffenen oder immer schlampigen Russen malen, aber nachdem es ja eine Tatsache ist, dass Russland stark unter alkoholbezogenen Problemen leidet (siehe zB grosser Artikel diese Woche im Economist, sicher serioes) Seit wann sind die Artikel über Russland in Economist serios??? Würde ich gerne wissen. 1) Verlaesslichkeit der Cockpit-Besatzungen. Klar, die koennen fliegen und kennen ihre Muehlen und ihre Plaetze. Aber ist es denn nicht auch so, dass in Russland sehr viel oefter alkoholisierte Piloten in der Kanzel sitzen? Es gab bis jetzt keinen einzigen Fall. In Gegenstz zur BritishAirways, z.B. :) Und wenn man einmal erlebt hat wie die Aeroflot-Piloten die Maschine zur Landung bringen, wird es sehr schnell klar was für Profis das sind.
NoCRJ Geschrieben 14. September 2006 Autor Melden Geschrieben 14. September 2006 Ich will hier auch nicht die Karrikatur des immer besoffenen oder immer schlampigen Russen malen, aber nachdem es ja eine Tatsache ist, dass Russland stark unter alkoholbezogenen Problemen leidet (siehe zB grosser Artikel diese Woche im Economist, sicher serioes) Seit wann sind die Artikel über Russland in Economist serios??? Würde ich gerne wissen. Ich bezog mich hier auf Zahlen ueber Lebenswerwartung, Krankheitssymptome, Bevoelkerungsentwicklung etc., die der Economist von der Weltgesundheitsorganisation und anderen NGOs und offiziellen Stellen - und damit fuer mich eher serioesen Quellen - erhalten hat. Oder willst Du uns sagen, dass es in Russland nicht mehr Alkohol-bezogene Probleme gibt als in anderen Laendern? Um die Haltung des Economist zu anderen Russland-Fragen geht es hier ja nicht. Und wenn man einmal erlebt hat wie die Aeroflot-Piloten die Maschine zur Landung bringen, wird es sehr schnell klar was für Profis das sind. Es ging mir ja wie eingangs in meinem Beitrag gesagt nicht um die Kompetenz der Piloten. Ich wollte nur wissen, wie sich das Gesellschaftsphaenomen "Alk" auf die Luftfahrt auswirkt. Was meinst Du denn mit "wie die Aeroflot-Piloten die Maschine zur Landung bringen?" Hast Du dazu ein paar Anekdoten? Oder gibt es sonstige "strukturelle" russische Besonderheiten?
kingair9 Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Seit wann sind die Artikel über Russland in Economist serios??? Würde ich gerne wissen. Und wenn man einmal erlebt hat wie die Aeroflot-Piloten die Maschine zur Landung bringen, wird es sehr schnell klar was für Profis das sind. Vielleicht ist das genau die Art von Kommentaren, die NoCRJ hiermit meinte? Vielen Dank fuer Eure Beitraege, dadruch scheint das ja mal die erste wirklich zu 100% sachlich gefuehrte Diskussion zur Luftfahrt in Russland in diesem Forum zu sein.
Micha Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Wie meine Verredner schon meinten kann man nach ein paar Russlandaufenthalten feststellen dass es mit neuen Flugzeugen nicht getan ist: - viele Landebahnen bedürfen einer Erneuerung - der Großteil der Flughäfen ist schlichtweg veraltet, verdreckt und gestattet kaum effiziente Betriebsabläufe (In Samara habe ich erlebt dass LH sich Schalter und Gepäckkarren, in Frankfurt ausrangierte Ausrüstung selbst mitbringt, selbst für das Check In hat LH dort eigenes Personal) Was das Sicherheitsbewusstsein anbelangt hab ich unterschiedliches erlebt, wie einst Kingair9 im angesprochenen Tripreport das Tabakproblem angesprochen hat waren für mich eher ausnahmen, meistens haben die Menschen ihren Job ordentlich gemacht, Alkohol im Dienst wird dort soweit ich es in der Familie miterlebt hab gar nicht geduldet und führt zum regelrechten Rauswurf.
NoCRJ Geschrieben 14. September 2006 Autor Melden Geschrieben 14. September 2006 Wie meine Verredner schon meinten kann man nach ein paar Russlandaufenthalten feststellen dass es mit neuen Flugzeugen nicht getan ist: - viele Landebahnen bedürfen einer Erneuerung - der Großteil der Flughäfen ist schlichtweg veraltet, verdreckt und gestattet kaum effiziente Betriebsabläufe Wie sieht es denn aus mit - Sicherheitskontrollen der Passagiere (wahrscheinlich sehr gruendlich)? - Beleuchtung von Pisten, Rollwegen und Vorfeldern? - Zuverlaessigkeit der Gepaeckabfertigung (Verlustrate, Diebstaehle etc)? Und noch eine Frage der Neugierde: darf an Bord der russischen Maschinen geraucht werden? Hat zwar mit Sicherheit nichts zu tun, interessiert mich aber trotzdem. Danke fuer Eure Antworten und Eindruecke.
kingair9 Geschrieben 14. September 2006 Melden Geschrieben 14. September 2006 Die Sicherheitskontrollen sind im Schnitt strenger als in Westeuropa. Zumindest auf den Flughäfen, auf denen ich in den letzten 12 Monaten gewesen bin (LED, SVO, DME, GOJ, OMS) war IMMER Schuhe aus und zusätzlich zum Scanner manuelles Abtasten angesagt. Gleichzeitig wird sehr liberal mit Handgepäckmengen umgegangen - wieder der o.g. "Spagat", der typisch ist für das Land derzeit... Die RWY- und TWY-Beleuchtungen entsprachen imho internationalem Standard. Und nein, bei den großen russischen Gesellschaften darf nicht geraucht werden wobei ich es vor 2 Jahren auch schon erlebt habe, daß in der C geraucht werden durfte und in der Y nicht... Seitdem habe ich mehrfach mitbekommen (zuletzt FV 735 LED-SVO1 im Frühjahr), daß die Rauchmelder angingen, weil Leute auf der Toilette geraucht haben. Die bekamen einen Anschiß aber keine Polizei o.ä. bei Landung. Achso - Gepäck habe ich auf all den Flügen dort noch nie verloren - ist aber nicht repräsentativ sondern nur persönliche Erfahrung.
dschoene Geschrieben 15. September 2006 Melden Geschrieben 15. September 2006 Mal einige generelle Informationen vielleicht für die, die Rußland nicht so kennen. 1. Alkoholprobleme Es ist wahr, viele Russen haben ein Problem mit Alk, oder besser gesagt, ohne den Selbigen. Aber hier wird Ursache und Wirkung vertauscht. Die Arbeitslosigkeit ist in Rußland erschreckend hoch und viele flüchten sich in den Alkohol. Die, die arbeiten, sind oftmals sogar Anti-Alkoholiker oder aber trinken sehr gemäßigt und ausserhalb der Arbeit. Dazu kommt noch, daß besonders russische Frauen mittlerweile die Finger von saufenden Männern lassen und ihre Partnerwahl sehr darauf ausrichten, ob der Mann säuft oder nicht. Die Säufer sind eher die hoffnungslosen, weniger, die die arbeiten und ein Pilot ist in Rußland ein Schwerverdiener. Die können sich also gar nicht leisten, zu saufen - der Job ist schneller weg als man denkt, denn Kündigungsschutz ist in Rußland ein Fremdwort. 2. Infrastruktur Ja, außer einigen prestigeobjekten sind viele Airports in bejammernswertem Zustand, aber die Russen sind unheimlich erfahren darin, mit wenigen Ressourcen viel zu erreichen. Da durch die großen Entfernungen in Rußland der Flugverkehr weitaus wichtiger ist als hier, lassen die Russen eher ihre Straßen komplett verfallen, aber der Airport wird geflickt mit allem was da ist. Die Technik (Feuerwehren etc) ist zwar alt, aber unheimlich robust. Die Urals der russischen Feuerwehren fahren noch, da hat jeder benz oder MAN schon die Hufe gestreckt. Man unterschätze die russische technik nicht. Sie ist simpel aber unkaputtbar, oder wie es ein Russe mal ausdrückte : "Groß, dumm und stark" 3. Piloten In Rußland sind Piloten fast ausschliesslich ehemalige Kampfpiloten. Eine "zivile Ausbildung" ist dort weitgehend unüblich, so daß man davon ausgehen kann, daß die richtig was drauf haben. Wer den Beweis braucht, stelle sich in HAJ einen tag auf die Aussichtsplattform und schaue sich die startenden Pulkovo, Sibir und Kras Air Maschinen an. Für die Russen würde die halbe Landebahn genügen... 4. Kleine Fluglinien Fast jede größere Stadt in Rußland hat 'ne eigene kleine Fluglinie (z.B. Aerobratsk, Voronezhavia, Tomskavia, Tuvinskie etc.). Oftmals haben diese nur eine Handvoll wöchentlicher Flüge nach Moskau oder Piter, aber treten grundsätzlich gegen die größere Konkurrenz an, Aeroflot fliegt praktisch überall, ebenso wie Pulkovo. Daher müssen auch die kleinen einen gewissen Standard haben, denn in Rußland ist erstaunlicherweise nicht die "Geiz ist Geil" Mentalität vorherrschend, obwohl es dort viele eher notwendig hätten als hier.
NoCRJ Geschrieben 15. September 2006 Autor Melden Geschrieben 15. September 2006 Danke fuer die Einblicke und Erlaeuterungen! Man lernt hier ja wirklich was. 1. Alkoholprobleme Es ist wahr, viele Russen haben ein Problem mit Alk, oder besser gesagt, ohne den Selbigen. Aber hier wird Ursache und Wirkung vertauscht. Genau so differenziert sah der von mir erwaehnte Artikel im Economist das auch, deutete aber auch an, dass es in vielen Faellen zu einem Teufelskreis kommt. Aber um mal eine Zahl zu zitieren: in Russland (ca. 147 Mio. Einwohner) sterben pro Jahr 36.000 Leute an Alkoholvergiftung. In USA (280 Mio. Einwohner) einige hundert... Auch gibt es wohl regionale Unterschiede innerhalb Russlands. Von den Alkoholkontrollen der Gesellschaften und der drakonischen Massnahmen bei Alk im Dienst wusste ich aber nichts - wie gut, dass ich mal gefragt habe! Sonst haette ich sicherlich ein Vorurteil mehr mit mir rumgeschleppt. 3. Piloten In Rußland sind Piloten fast ausschliesslich ehemalige Kampfpiloten. Eine "zivile Ausbildung" ist dort weitgehend unüblich, so daß man davon ausgehen kann, daß die richtig was drauf haben. Wer den Beweis braucht, stelle sich in HAJ einen tag auf die Aussichtsplattform und schaue sich die startenden Pulkovo, Sibir und Kras Air Maschinen an. Für die Russen würde die halbe Landebahn genügen... Ah, jetzt mache ich mir langsam ein Bild. Die fliegen etwas "sportlicher", ja? Bisserl mehr Gas beim Abheben, hoehere Steigrate, hoehere Sinkrate im Anflug, haerteres Bremsen nach dem Aufsetzen... so ungefaehr? Ich gehe auch davon aus, dass in Russland viele Piloten besser mit widrigem Wetter umgehen koennen. Sind sie denn auch "mutiger" im Sinne von "riskant", d.h. gibt es Situationen wie zB Sichtverhaeltnisse wo ein braver Swiss-Kapitaen lieber zum Ausweichflughafen steuert, der Kutscher bei KrasAir aber sicher landen wuerde? Ich koennte mir vorstellen (Vorsicht, ich baue hier wieder auf einem Klischee auf), dass in Russland viele Fluege zB auf Grund von Wetter nicht stattfinden oder stark verspaetet wuerden, wenn die Piloten dort genau so zahm waeren wie in Deutschland. 4. Kleine Fluglinien Fast jede größere Stadt in Rußland hat 'ne eigene kleine Fluglinie (z.B. Aerobratsk, Voronezhavia, Tomskavia, Tuvinskie etc.). Oftmals haben diese nur eine Handvoll wöchentlicher Flüge nach Moskau oder Piter, aber treten grundsätzlich gegen die größere Konkurrenz an, Aeroflot fliegt praktisch überall, ebenso wie Pulkovo. Ist das wirklich so, dass Aeroflot ueberall hinfliegt? Von Moskau aus gibt es sicher viele Verbindungen, aber ansonsten? Ich stoebere ab und an aus Spass an der Freude auf www.polets.ru herum, und da wird ersichtlich, dass der Verkehr zwischen den grossen Provinzhauptstaedten (Novosibirsk, Irkutsk, Khabarovsk, Krasnodar, etc.) nicht von SU abgewickelt wird, sondern entweder von den anderen grossen, aber in den "Provinzen" beheimateten Gesellschaften (Sibir, KrasAir) oder eben den "Locals". Von Nebenstrecken mal ganz zu schweigen. Gibt es eigentlich irgendwo eine Auflistung der russischen Gesellschaften und ihrer Groesse (=geflogene Paxe)? Wuerde mir beim Verstaendnis der russischen Verkehrsluftfahrt noch weiter helfen.
NoCRJ Geschrieben 15. September 2006 Autor Melden Geschrieben 15. September 2006 Nur um mal zwei Sachen klar zu stellen: - ... —Der Pro-Kopf-Alkoholverbrauch (offiziell + Dunkelziffer) ist laut WHO in Russland nur unwesentlich höher als in Deutschland. Das stimmt, habe ich ja auch schon selber geschrieben glaube ich. Nur: das ist ein Durchschnittswert. Er sagt nichts darueber aus, was getrunken wird (Bierchen oder selbstgebrannter 60%er), ob schoen ueber die Woche verteilt mit einer Mahlzeit oder alles auf einmal auf nuechternen Magen, etc. Ich kenne Russland wie gesagt nicht, weiss daher nicht wie es ist, aber die gesellschaftlichen Auswirkungen haengen eben nicht nur vom Durchschnittsverbrauch ab. Aber die Zahl der Toten durch Alk-vergiftung habe ich ja oben angesprochen. Um es einmal mit zwei Laendern zu vergleichen, die ich sehr gut kenne: Frankreich und Grossbritannien. Der Durchschnittskonsum ist ungefaher gleich hoch. In Frankreich wird "viel" getrunken, aber wie oft kommt es vor, dass alkoholisierte Franzosen herumpoebeln? Extrem selten. Woran liegt's? Daran, dass ein paar Glaeser Wein zu einem guten Essen eben einen anderen Effekt haben als das, was in UK abgeht: dort ist Alkohol einerseits ein Taboo, kein Brite wuerde je zum Geschaefts-Mittagessen auch nur ein Glas Wein trinken. Andererseits ist "Binge drinking" (=sich so voll zu kippen, dass man so betrunken wie moeglich ist) ein Volkssport. Sich die Lampe bis zum Umfallen zuzukippen ist eine Abendbeschaeftigung, auf die sich viele freuen. Es wird auch nicht durch Essen aufgefangen, denn wie wir alle wissen ist Grossbritannien eine gastronomische Diaspora. Die Effekte: tausende von Schlaegeien zwischen betrunkenen, "Vergewaltigungen" (=die Frauen waren zu besoffen, um zu merken, was mit ihnen passiert), Autounfaelle, randalierende Jugendliche und zerstoerte Pubs, die Regierung erklaert, dass sie viele Innenstaedte Freitag und Samstag abend nicht mehr unter Kontrolle hat. Waehrend der WM wurde vielen Pubs auferlegt, max. 15 Minuten nach Ende des England-Spiels zu schliessen, um Ausschreitungen wg. Alk zu verhindern. Zahlen: 30% der 16-24-jaehrigen ueberschreiten mindestens einml pro Woche das "vernuenftige" Niveau an Alk-konsum, 48% der britischen Maenner geben an, "regelmaessig" einen Vollrausch zu haben (Frankreich: 4%), und so weiter. Na ja, irgendwo muss der Ruf als Inselaffen ja her kommen... Verzeihung, dass ich auf diesen Punkt so intensiv eingegangen bin, aber er spielt ja in dieser Diskussion eine Rolle. Daher sind fuer mich die persoenlichen Eindruecke und Erlaeuterungen von Leuten wie micha, kingair9 und dschoene auch so wertvoll, weil sie eben an meinem unfundierten Wissen ruetteln und ueber Durchschnittswerte hinausschauen. Und ncoh einmal: ich kenne Russland nicht und will das Bild des von Alk benebelten Russen auch nicht malen, aber nachdem es so ein Klischee ist, wollte ich nach der Realitaet und deren Auswirkungen auf die Luftfahrt fragen.
kingair9 Geschrieben 15. September 2006 Melden Geschrieben 15. September 2006 Gibt es eigentlich irgendwo eine Auflistung der russischen Gesellschaften und ihrer Groesse (=geflogene Paxe)? Wuerde mir beim Verstaendnis der russischen Verkehrsluftfahrt noch weiter helfen. Zumindest einige Zahlen sind in diesem von Su-34 in einem anderen thread enthalten: http://www.aktuell.ru/russland/wirtschaft/...sland_1447.html
EDSB_ Geschrieben 15. September 2006 Melden Geschrieben 15. September 2006 Mal einige generelle Informationen vielleicht für die' date=' die Rußland nicht so kennen. 3. Piloten In Rußland sind Piloten fast ausschliesslich ehemalige Kampfpiloten. Eine "zivile Ausbildung" ist dort weitgehend unüblich, so daß man davon ausgehen kann, daß die richtig was drauf haben. Wer den Beweis braucht, stelle sich in HAJ einen tag auf die Aussichtsplattform und schaue sich die startenden Pulkovo, Sibir und Kras Air Maschinen an. Für die Russen würde die halbe Landebahn genügen... quote'] Also das stimmt überhaupt nicht! Sogar umgekehrt es ist sehr schwer als militär Pilot auf zivile Flugzeuge umzusteigen. Es gibt mehrere große Flugschulen die Piloten für die zivile Luftfahrt ausbilden. Was Alkoholkonsum am Arbeitsplatz angeht, da kann ich aus eigene Erfahrung sagen (ausbildung zum Fluglotsen in St.Petersburg, ACC Lotse), sowohl bei Piloten als auch beiFluglotsen, muß man vor dem Dinst (Flug) zu medezinische Kontrolle. Grüße Andreas
NoCRJ Geschrieben 15. September 2006 Autor Melden Geschrieben 15. September 2006 […]Genau so differenziert sah der von mir erwaehnte Artikel im Economist das auch' date=' deutete aber auch an, dass es in vielen Faellen zu einem Teufelskreis kommt. Aber um mal eine Zahl zu zitieren: in Russland (ca. 147 Mio. Einwohner) sterben pro Jahr 36.000 Leute an Alkoholvergiftung. In USA (280 Mio. Einwohner) einige hundert... Auch gibt es wohl regionale Unterschiede innerhalb Russlands. […'] Das ist kein guter Ansatz. Vergleiche lieber alle Drogentoten, also Alkohol + H + Koks + Medis etc., beider Länder miteinander, das wäre interessanter. Ja/nein. Wenn es darum geht, gezielt und ausschließlich das Alk-Thema zu beleuchten, dann ist es der richtige Ansatz. Wenn es darum geht, Trends in der Gesellschaft aufzuzeigen, hast DU recht, da muß man alle diese Aspekte vergleichen. GIng mir ja auch nicht darum zu behaupten, daß in USA alles toll ist - bei weitem nicht! - sondern nur das ALk-Thema zu quantifizieren. Die beiden Länder leiden eben unter verschiedenen Malaisen. Mal einige generelle Informationen vielleicht für die' date=' die Rußland nicht so kennen. 3. Piloten In Rußland sind Piloten fast ausschliesslich ehemalige Kampfpiloten. Eine "zivile Ausbildung" ist dort weitgehend unüblich, so daß man davon ausgehen kann, daß die richtig was drauf haben. Wer den Beweis braucht, stelle sich in HAJ einen tag auf die Aussichtsplattform und schaue sich die startenden Pulkovo, Sibir und Kras Air Maschinen an. Für die Russen würde die halbe Landebahn genügen... quote'] Also das stimmt überhaupt nicht! Sogar umgekehrt es ist sehr schwer als militär Pilot auf zivile Flugzeuge umzusteigen. Es gibt mehrere große Flugschulen die Piloten für die zivile Luftfahrt ausbilden. Was Alkoholkonsum am Arbeitsplatz angeht, da kann ich aus eigene Erfahrung sagen (ausbildung zum Fluglotsen in St.Petersburg, ACC Lotse), sowohl bei Piloten als auch beiFluglotsen, muß man vor dem Dinst (Flug) zu medezinische Kontrolle. Grüße Andreas Schau, habe ich wieder was gelernt, also auch ATC. Danke für die Info. Zumindest für mich ist damit das Alk-Thema abgehakt (bleiben nur die Briten als Saufköpfe, und da weiß ich, wovon ich rede ;-) ) Aber kann mir das mit den Piloten noch jemand genauer erklären? Was ist denn der Unterschied in der "Fahrweise" (="Flugweise" gibt's ja nicht, oder?) zwischen ruzssischen und westeuropäischen Piloten, sofern sich das verallgemeinern läßt?
dschoene Geschrieben 17. September 2006 Melden Geschrieben 17. September 2006 Schau, habe ich wieder was gelernt, also auch ATC. Danke für die Info. Zumindest für mich ist damit das Alk-Thema abgehakt (bleiben nur die Briten als Saufköpfe, und da weiß ich, wovon ich rede ;-) ) Aber kann mir das mit den Piloten noch jemand genauer erklären? Was ist denn der Unterschied in der "Fahrweise" (="Flugweise" gibt's ja nicht, oder?) zwischen ruzssischen und westeuropäischen Piloten, sofern sich das verallgemeinern läßt? Verallgemeinern läßt es sich nicht, aber aus persönlicher Erfahrung vieler Flüge mit Tupolevs ist aus persönlichem empfinden der Start doch recht "sportlich". Das Hochjubeln der Triebwerke vor dem Start ist rein subjektiv doch wesentlich extremer als bei westlichen Piloten. So empfand ich die Beschleunigung beim Anrollen nie so extrem, wie bei den Kras Air Tu-154. Die stehen auf der Startbahn, lassen die Solovievs jodeln und wenn sie die Bremse lösen, dann haut's dich gehörig in den Sitz. Dagegen waren die Starts mit den B737 von dba eher lau. Wie gesagt ist es mein subjektives Empfinden. Kleines Detail am Rande - die russischen Stewardessen verteilen vor dem Start grundsätzlich Bonbons, das hilft beim Druckausgleich während der teilweise recht "zügigen" Steigflüge. Mal 'noch ne Anmerkung zum Alk-Thema. Was die hohe Zahl an Alkoholtoten in Rußland angeht. Das liegt eher daran, daß dort sehr viel Samogon (selbstgebrannter) getrunken wird, der natürlich keiner Qualitätskontrolle unterliegt. Vergiftungen mit Methylalkohol sind sehr häufig. Die Mutter meiner besseren Hälfte ist selbst schwerstabhängig - die säuft alles - inklusive Parfum, Lösungsmittel und Primasprit. Alle Versuche da noch was zu richten sind hoffnungslos - und so gehts vielen Russen, besonders hinter dem Ural, denn das Gefälle ist groß zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil.
Charliebravo Geschrieben 22. September 2006 Melden Geschrieben 22. September 2006 Wie Russland-Aktuell und andere berichten, droht der staatlichen Pulkovo die Aufnahme in die "schwarze Liste" der EU zum 04.10.06 und somit ein Einflugverbot. Es gab wohl im letzten Jahr diverse Mängelrügen von den Kontrollbehörden, die teilweise zwar behoben worden sind, während andere als nicht relevant erachtet werden. Dabei vermuten Mitarbeiter der Gesellschaft, dass die Flugsicherheit als Faustpfand gegen Russlands Überfluggebühren genutzt werden soll.
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