Hame Geschrieben 4. September 2004 Melden Geschrieben 4. September 2004 http://www.ftd.de/ub/di/1091258301811.html?nv=tn-rs Von Jens Flottau Die traditionellen Fluggesellschaften müssen mit ihrer ungewohnten Konkurrenz leben. Billigflieger und Regionalflieger haben sich etabliert. Seit Jahrzehnten ist der internationale Luftverkehr an Krisen gewöhnt, die in bestimmten Abständen wiederkehren. Das Geschäft verläuft grundsätzlich wellenförmig, einer Flaute folgen einige Jahre großer Nachfrage. Und weil der Bedarf an Flugreisen und Luftfracht mit der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung im Verhältnis von knapp zwei zu eins korreliert, haben sich die Fluggesellschaften irgendwie auch an besonders hohe Ausschläge gewöhnt. Waren die vergangenen drei Jahre also "business as usual" - Alltagsgeschäft, vielleicht ein bisschen schlimmer als sonst? Von dieser Hoffnung mussten die Etablierten der Branche Abschied nehmen, und wer es noch nicht getan hat, der steckt in größter Not. Denn der internationale Luftverkehr hat sich in den vergangenen drei Jahren strukturell mehr verändert als zuvor in Jahrzehnten. Wie sehr, das illustriert eine Aussage von Air-France-KLM-Chef Jean-Cyril Spinetta vor wenigen Wochen bei einem Treffen seiner Skyteam-Allianz: "Die Welt braucht beide Typen von Fluggesellschaften." Spinetta meinte herkömmliche Fluggesellschaften und Billigflieger. So weit ist es schon gekommen, dass Spinetta die Existenzberechtigung seines Arbeitgebers verteidigen muss, noch vor wenigen Jahren undenkbar. Geschäftsmodell verfeinert Unterschwellig waren viele Trendlinien in der Schlüsselindustrie bereits zusammengelaufen, als Terroristen am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in das New Yorker World Trade Center und eines in das Pentagon steuerten. Die traditionell ausgerichteten Fluggesellschaften konnten in den Jahren davor ihr Glück kaum fassen. Sie bekamen jeden Preis für einen Sitz in ihren Flugzeugen, irgendein Manager aus der New Economy hat ihn schon akzeptiert. München-Toulouse für fast 1500 Euro, kein Problem. Wer in diesen Zeiten nicht richtig viel Geld verdient hat, dessen Spitzenmanagement müsste noch rückwirkend gekündigt werden. Die Fluggesellschaften setzten in ihrem strategischen Ansatz alles daran, den Umsatz zu maximieren, die Kosten spielten fast keine Rolle mehr. Und so wurden die Flugpläne immer komplexer, die Produktivität der Flugzeuge geringer, die Lounges immer größer und die Sitze in der First Class immer luxuriöser. Gleichzeitig hatten - milde belächelt von vielen, die davon heute natürlich gar nichts mehr wissen wollen - Billigfluggesellschaften ihre ersten Gehversuche gemacht. Vieles davon ging selbst in den Boomzeiten der späten 90er schief - wer erinnert sich noch an Franco Mancassolas Debonair -, aber viele verfeinerten langsam aber sicher ihr Geschäftsmodell. Und als mit der Wirtschaftskrise seit dem 11. September 2001 die Controller in den Unternehmen aufwachten und die Reisebudgets kürzten, war ihre Stunde gekommen. Nur Effizienz sichert das Überleben "Künftig wird es drei Marktsegmente geben", sagt Ulrich Schulte-Strathaus, Chef der Association of European Airlines (AEA). "Fluglinien, die Drehkreuze betreiben, Regionalfluggesellschaften und Niedrigpreisanbieter." Doch die in der AEA organisierten klassischen Fluggesellschaften wie Lufthansa, Air France und British Airways haben nicht nur massiv Marktanteile an ihre neuen Konkurrenten verloren. Sie haben in den eigenen Organisationen auch einen grundsätzlich anderen Denkansatz durchsetzen müssen. Nicht mehr Umsatzmaximierung war das alleinige Erfolgsrezept, eine immer größere Rolle spielten plötzlich die Kosten, zu denen der Umsatz erzeugt wurde. Die Durchschnittserlöse, also der Umsatz pro verkauften Sitz, fielen in der ganzen Branche dramatisch. Selbst Ryanair geht davon aus, dass der Ertrag bis Jahresende um 20 Prozent sinken könnte. Für viele sind das Bedingungen, unter denen sie nicht mehr überleben können. Dass es in Europa mit der belgischen Sabena erst eine der alten Fluggesellschaften erwischt hat, liegt erstens an staatlichen Hilfen, die immer noch den Markt verzerren, und zweitens daran, dass Fluggesellschaften immer schon langsam gestorben sind, wie etwa der jahrzehntelange Kampf von Pan Am zeigt. Analysten und Beobachter sind weitgehend einig, dass Swiss International Air Lines und Alitalia zumindest in ihrer heutigen Form keine Überlebenschance haben. Zu hoch sind die Stückkosten, zu eingefahren die Strukturen, zu groß das Anspruchsdenken. Sie werden massiv schrumpfen müssen, einen Investor finden oder vom Markt verschwinden. Die Konsolidierung der Branche, auch politisch von der EU-Kommission gewollt, ist voll im Gange. Billigkonkurrenz wird zum Problem Selbst die über viele Zweifel erhabene Lufthansa steht vor einem fundamentalen Problem. Sie muss ihre Langstrecken mit Zubringerpassagieren füttern, sonst lohnen sie sich nicht. Im Zubringerverkehr macht sie aber auf vielen Strecken Verluste. Denn sie muss nicht nur mit Billigfluglinien direkt konkurrieren. Ein hochrangiger Branchenvertreter beklagt auch "die unrealistische Erwartungshaltung der Verbraucher". Fliegen muss jetzt billig sein - immer und überall, Ryanair und Easyjet machen es schließlich vor, oder? Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air France wollen immer noch alles für jeden sein - ein Konzept, von dem sich British Airways bereits erfolgreich gelöst hat. Immer noch können sich manche Alteingesessene nicht so richtig mit der neuen Zeit anfreunden. "Die Euphorie um die Billigflieger erinnert mich an den Internet-Hype", sagte Holger Hätty, der Lufthansa-Bereichsvorstand Netzmanagement, jüngst wieder der hausinternen "Flightcrew Info." Es mag durchaus Parallelen geben zwischen den beiden Entwicklungen. Das genau aber ist das Problem für die Etablierten. Denn auch von der Internet-Hysterie ist genug übrig, um Wirtschaft und Handel massiv zu beeinflussen. Und dort, wo Parallelen unzulässig sind, wirkt sich das eher zum Nachteil für die Fluggesellschaften aus. Das Internet hat vielen die Arbeit erleichtert, doch die Billigkonkurrenz bringt viele Fluggesellschaften an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Boom verlangsamt sich Dennoch: Der Boom im Billigsegment wird sich allem Anschein nach nicht mehr im selben Maß fortsetzen wie in den vergangenen beiden Jahren. Die neuen Anbieter werden von einer wesentlich höheren Basis aus langsamer wachsen, und wenn sie sich bei rund 30 Prozent Marktanteil im europäischen Luftverkehr stabilisieren, dann ist das für die Verbraucher angenehm und für die Platzhirsche bedrohlich genug. In diesem Jahr werden die deutschen Billigflieger wie Germanwings, Germania Express, Air Berlin und Hapag-Lloyd Express wohl weiter zulegen, der eine oder andere wird sogar Gewinn machen. Im Jahr 2005 müssen sie dann nachweisen, dass ihr Geschäftsmodell auf Dauer erfolgreich ist. Wird es gut ausgeführt, spricht derzeit nichts dagegen. Doch auch die neuen Anbieter kochen mit Wasser, machen Strategiefehler und müssen Kapital beschaffen. Anstieg In den ersten fünf Monaten dieses Jahres lag nach Angaben des Weltluftfahrtverbands IATA der Passagierverkehr 19,4 Prozent höher als 2003, der Frachtverkehr 12,2 Prozent. Vergleicht man die Zahlen von Januar bis Mai 2004 mit dem entsprechenden Zeitraum im Jahr 2000, ergibt sich ein Anstieg von 8,8 Prozent beim Passagierverkehr und von 13,6 Prozent beim Frachtverkehr. Prognose Für das laufende Jahr rechnet der Verband mit einem Jahreswachstum (gemessen in weltweit verkauften Sitzkilometern) des Passagierflugverkehrs auf allen internationalen Routen von 3,6 Prozent.
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