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FAZ am Sonntag über Spotter in SZG


MCM

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Voyeur, Voyeur

Flugzeugfans aus ganz Europa pilgern im Winter nach Salzburg, weil sie hier die exotischsten Fluglinien vor die Kamera bekommen

 

 

Otto Bauer aus Rosenheim kann es einfach nicht fassen. Schon 180 Fotos hat er an diesem strahlenden Sonntag morgen verschossen. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, taucht diese Iljuschin 96 der Kras Air am Horizont auf. Otto wird unruhig, und mit ihm rund weitere 350 Flugzeug-Spotter, die sich am Salzburger Wolfgang-Amadeus-Airport auf die Lauer gelegt haben - trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt. Mit kreischenden Triebwerken der Marke Pratt & Whitney PW23B37 (so etwas nehmen diese Planespotter allzu genau) setzt die russische Jumbo-Version auf der Runway 16 auf, nutzt die gesamte Bahn zum Abbremsen. Auf der Besucherterrasse und hinter Zäunen bricht Euphorie aus: Fotoapparate klicken, Kameras surren, durch Ferngläser werden kritische und anerkennende Blicke auf den bauchigen Vierstrahler geworfen. Die Augen der Fliegerfans aus Sindelfingen, Salzburg und Southhampton leuchten.

 

 

Und sie werden noch reicher belohnt. Denn die Iljuschin parkt sich genau zwischen einer Tupolew 154 der russischen UT-Air und einer Boeing 737-400 der ukrainischen Aero Svit ein, während dahinter gerade eine Tupolew 204 der KMV zur Startbahn rollt, um ins russische Mineralnyje Wody abzufliegen.

 

Krass, Air!

 

Auf dem Vorfeld herrscht reges Treiben. Jedes Wochenende zwischen Weihnachten und Ostern wird der Flughafen Salzburg von zahlreichen Charterfluggesellschaften angeflogen, welche die Mozartstadt als Transferpunkt für die Skiurlauber nutzen. An manchen Samstagen landen bis zu einhundert Verkehrsmaschinen. Diese "Skiflieger", das muß man wissen, bringen alljährlich 250 000 Winterurlauber hierher. Und weil an manchen Tagen bis zu vierzig Flugzeuge allein aus Rußland, der Ukraine und Weißrußland ihre Touristen hier abliefern, bietet Salzburg als einer der wenigen Flughäfen im westlichen Europa eine geballte Vielfalt an exotischen Fluglinien aus dem Osten. Das macht Salzburg nach Genf nicht nur zum zweitstärksten Flughafen des Kontinents im Bereich Wintercharter, sondern auch zu einem der begehrtesten Pilgertreffs von Flugzeug-Spottern aus ganz Europa. Doch Vorsicht! Spotter ist nicht gleich Spotter. Und man kann es sich mit ihnen schnell verscherzen, wenn man sie alle in einen Topf wirft.

 

Otto zum Beispiel gehört zu jener Gruppe, für die nicht die Call Signs - also die Registrierung eines Flugzeuges, ähnlich wie Autokennzeichen - das wichtigste Kriterium für den sogenannten Spot sind, sondern das gesamte Motiv. Nach dem Motto: "Schönes Flugzeug in besonderer Umgebung". Und da sind die Möglichkeiten in Salzburg dank der Berge ganz phantastisch. Ausgerüstet mit einer kleinen Leiter, um besser über Zäune und Absperrungen blicken zu können, einem kleinem Teppich, um nicht kalte Füße von der stundenlangen Warterei zu bekommen, einem Klappsessel samt Kunststoff-Bärenfell und großer Thermoskanne verbringt der Mittvierziger den ganzen Wintertag am Airport.

 

Otto plant seinen Urlaub nach solchen Motiven. "Im Winter komme ich gern nach Salzburg wegen der Skicharter. Im Sommer gehe ich oft nach Korfu oder Lanzarote." Denn da könne er in der Badehose die einschwebenden Boeing 757-200, 737-800 mit und ohne Winglets, Airbus A330 und so weiter fotografieren. Er verreise auch gern für ein oder zwei Wochenenden (wegen des "Chartersamstag") nach Axams bei Innsbruck. Immer im selben Hotel und im selben Zimmer, mit Blick auf die Einflugschneise. "Da ergeben sich wirklich phantastische Motive." Und in aufreizender Gelassenheit möchte Otto noch gern einen fachmännischen Rat erteilen: Die soeben gelandete Il96 trage noch die Bemalung der Domodedovo Airlines, welche erst kürzlich durch eine Fusion von Kras Air übernommen worden sei. "Also das ist etwas Besonderes. Das können Sie wirklich schreiben." Was hiermit geschehen ist.

 

Eine startende MD 80!

 

Neben Otto haben sich Heinz und seine Freundin Tina, zwei bekennende Flugzeugenthusiasten aus München, auf der gefrorenen Wiese, so gut es geht, eingerichtet. Er habe bestimmt schon ein paar zehntausend Fotos zu Hause. Für Heinz ist der samstägliche Anreisetag von 16000 Briten nach Salzburg mit Fluglinien wie Monarch oder Britannia das Hauptmotiv. "Eines der begehrtesten Objekte für uns sind die unterschiedlichen Motive von My-Travel-Bemalungen. Nicht war?" Tina zwinkert verschwörerisch zurück.

 

Unterdessen verfolgen Flugzeugfans von einem eigens für Spotter aufgeschütteten Hügel die Ankunft einer Boeing 767-300 der Lauda Air in Star-Alliance-Bemalung. Die startende MD80 der SAS Scandinavian Airlines interessiert hingegen einen jungen Mann mit ostdeutschem Akzent. Er gehört zu der Gruppe der Call-Signs-Sammler. "Diese SAS habe ich noch nicht", sagt er begeistert. Nicht, daß der Bursche noch niemals eine MD80 der SAS fotografiert hat: "Aber die Maschine mit dieser schwedischen Registrierung fehlt mir in der Sammlung."

 

Zum Kommunikationszentrum hat sich mittlerweile die Flughafenterrasse verwandelt. Hier treffen sich nicht nur Salzburger Spotter, Delegationen von Freaks sind mit Hapag Lloyd Express aus Hamburg und Thomsonfly aus Coventry eigens nach Salzburg geflogen, um dem Charterverkehr ihre Aufwartung zu machen. Und es wird viel gefachsimpelt. Etwa über absolute Hot Spots wie Saint Martin in der Karibik oder der Airport Samedan im schweizerischen St. Moritz. Oder über Innsbruck. Ein Tip für Spotter lautet dort so: "Für gute Spots zwecks ,Approaching Aircrafts Runway 26' mußt du dich auf einem ,Bretterstock' positionieren", meint der Experte in Trachtenjacke und Gamsbart-Hut. Wie kommt man dorthin ? "Ganz einfach. Den östlichen Flughafenzaun entlang, etwa hundert Meter hinter der Tennishalle. Da hast du die wunderschöne Nordkette im Hintergrund." Hingegen empfiehlt der Mann für "Approaching aircrafts RWY08" die Innböschung am Ende der genannten Landebahn.

 

Platz da, ich spotte!

 

Auf der Salzburger Terrasse sind Kameras mit Teleobjektiven aufgebaut, wie man sie hierzulande bestenfalls bei Weltcup-Abfahrtsläufen zu sehen bekommt. "Salzburg als Stadt wäre ja schön", meint die Dame aus Linz. "Aber Flieger-Freaks wollen nicht unbedingt in die Getreidegasse zum Geburtshaus Mozarts." Scheint so. Sie erzählen lieber, was sie nicht schon alles vor die Linse bekommen haben, welche Flugzeugfotografen sie so persönlich kennen - oder zu kennen glauben.

 

Sosehr Flugzeugbegeisterte für Airports oftmals ein Segen sind, so sehr können manche Spotter eine Plage sein, die man als Eindringlinge verachtet. Vor allem dann, wenn sie in Bereiche vorstoßen, die sie nichts angehen. "Schwierig mit Spottern wird es dann, wenn sie ein Schattenmanagement entwickeln. Spotters glauben, sie wissen alles, in Wirklichkeit wissen sie es aber nicht. Daher kommt es vielleicht auch zu Enttäuschungen, wenn manchmal ein erwartetes Flugzeug nicht kommt", erläutert der Flughafensprecher von Salzburg, Richard Schano. Zwar seien die Fans zu einem gewissen Teil Familienmitglied des Flughafens. "Aber es fehlt ihnen der Zusammenhang mit der Materie, die sie nicht kennen. Denn wer dies als Hobby betreibt, hat einen anderen Zugang zur Luftfahrt als einer, der damit beruflich zu tun hat." Daher sei es notwendig, den regelmäßigen Gästen Refugien zu schaffen, wo sie den Betrieb nicht stören können. "Wir haben neben der Besucherterrasse einen speziellen Spotterhügel so gestaltet, daß die Spotters beim Bilderschießen nicht von der Sonne geblendet werden", so Schano. Auch der Flughafen München gilt unter den Freaks als einer der spotterfreundlichen Flughäfen Europas.

 

Endstation Salzburg!

 

Eigentlich lenkt die Freaks nichts von der Beobachtung des Flugverkehrs ab. Lediglich die hübsche Kellnerin, wenn sie frischen Kaffee mit einem leuchtenden Lächeln serviert. "Gutes Geschäft", sagt sie und nickt zufrieden. Da kommt wieder Unruhe unter den "Experten" auf: Die Anzeigetafeln verkünden die nahe Landung eines außergewöhnlichen Fliegers.

 

Normalsterbliche spüren davon nichts. In den Gesichtern der Anwesenden aber ist zu lesen, daß Wichtiges geschieht: Eine Boeing 757 der russischen VIM, dicht dahinter eine Transaero Boeing 767-300 aus der Ukraine und ein Airbus A330 der Monarch Airlines, allesamt im "Final Decent to Salzburg", wie das im Jargon des Towers heißt, den hier natürlich alle beherrschen wollen. Daß mittlerweile strömender Regen eingesetzt hat, scheint die Spotter nicht zu stören. Auch Otto nicht. Da steht er unter seinem großen blauweißen Regenschirm, hinter dem Zaun, auf seiner kleinen Leiter und wartet auf die Offenbarung von oben. KURT HOFMANN

 

 

 

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.03.2005, Nr. 10 / Seite V3

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