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Reisebericht Lufthansa LH060 NUE-CGN-LHR am 30.09.73


Easyflyer75

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Auf den ersten Blick war der nachstehend geschilderte Flug nichts besonderes, für mich persönlich jedoch der erste (Linien)Flug überhaupt - und wie so mancher folgender ein Start- oder Endpunkt von markanten Lebensabschnitten. Um die Bedeutung des Fluges verständlich zu machen, führe ich die Hintergründe mit auf.

 

In jenen Tagen - laut Sichtvermerk im Reisepaß mußte es der 13.August 1973 gewesen sein - begab es sich daß ich in London weilte, der letzte Tag meines Urlaubs in England. Als sogenannter Austauschschüler (allerdings ohne Austausch) mit einer Busladung gleichaltriger Teenager in Zweiergruppen bei Gastfamilien in Weymouth, Grafschaft Dorset wohnend. Und zum Abschluß drei Tage London. Das nun war meine Anwesenheitsbegründung in der britischen Hauptstadt.

Da ich nicht nur rein altersmäßig sondern auch in „all things England and London“ das Seniorat innehatte, war die Gruppe - und besonders die weiblichen Mitglieder - sehr bestürzt und enttäuscht, als ich mich nach Einnahme des Frühstücks im Hotel für den Rest des Tages mit unaufschiebbaren persönlichen Angelegenheiten entschuldigte und mich vom Acker machte. Jetzt mußten sie eben die ausstehenden angesagten Shops und Sehenswürdigkeiten alleine finden.

Per Subway (US-amerikanisch für Underground oder Metro) und traditionell roten Doppeldeckerbus begab ich mich vom Hotel in Bayswater zur Adresse 326 Queenstown Road auf der südlichen Seite der Themse. Dort suchte ich das altehrwürdige Speditionshaus von

Davies Turner & Co. Ltd. auf. Ohne Termin, geschweige denn einer vorherigen Anmeldung, verlangte ich am Empfang, in der Personalabteilung vorstellig werden zu können.

Zu diesem Zeitpunkt mußte in der Firma etwas fundamental schief gelaufen sein. Anstatt mich von Möbelpackern unter Anwendung von Brachialgewalt sofort auf die Straße hinaus zu werfen, flötete die nette Dame nur „Just a moment please, take a seat over there“, nahm den Hörer auf und flüsterte was sich aus der Entfernung anhörte wie „Listen, I've got a young foreign bloke down here, dressed like a bloody tourist, pretending he knows something about shipping and forwarding“. Die Gegenfrage mußte wohl gelautet haben „and what the heck does he want ?“, denn die knappe Antwort lautete „a job“. Dann legte sie den Hörer auf und meinte mit süffisantem Lächeln auf den Lippen „somebody will be right with you“. Spätestens dann erwartete ich das Auftreten von den muskelbepackten Möbelpackern, um die Durchführung des gebotenen Hinauswurfs unter Schimpf und Schande zu erledigen.

Zu meiner Überraschung erschien ein soignierter älterer Herr mit imponierend angegrauten Schläfen, gewandet im edlen Zwirn, und zeigte sich als Personalchef erkenntlich und hinterfragte mein Begehr. Ich klärte ihn über meine Person, Alter, Herkunft, Ausbildung und Beruf auf und händigte ihm als Legitimation ein aus einer deutschen Fachzeitung ausgeschnittenes Stellenangebot der Firma aus, in der jungen deutschen Speditionskaufleuten eine Anstellung in London in Aussicht gestellt worden war. Wenn auch schon vor 3 Monaten.

Eine weitere Gelegenheit, mich mit der Bemerkung „You must be out of your goddamn cotton-pickin' mind“ los zu werden, wurde nicht wahrgenommen. Mit der Aufforderung, nochmals Platz zu nehmen und mich für paar Minuten zu gedulden, entschuldigte sich der freundliche Personalchef und entschwand. Umgehend wurde mir ungefragt ein Getränk serviert. Ich glaube, es war Tee.

Nach ein paar Minuten erschien der nette Herr wieder und bedeutete mir, ihm in das Innere des Gebäudes zu folgen. So fand ich mich 2 oder 3 Etagen höher in einem Großraumbüro wieder, in dem es summte und brummte vor Geschäftigkeit. Vorstellung und Handshake mit 3 Herren, die keine Zeit vergeudeten und sofort in medias res gingen. Was ich bisher so gemacht hätte und warum ich hier arbeiten wollte. Antwort war klar: um richtig Englisch zu lernen.

Die Herrschaften baten mich kurz zu warten, zogen sich zur Gipfelkonferenz in einen separaten, schalldichten und uneinsehbaren Raum zurück, und als sie innerhalb ein paar Minuten wieder rauskamen, wurde ich gefragt: „when can you start ?“

Ich war geneigt, gleich den 01.09. zu nennen, aber die alte Volksweisheit „so schnell schießen die Preußen nicht“ ließ mich dann den 01.10. als Arbeitsaufnahmedatum optionieren. Mußte ja erst mal wieder zurück nach Deutschland, dort kündigen und vor allem ein paar Sachen packen.

Mit einem „OK, we'll mail you the contract and look forward to October 1st“ war ich entlassen.

Als ich wieder auf der Straße stand, schwanden mir die Sinne und ich torkelte über die stark frequentierte Queenstown Road hinüber in den Battersea Park, wo ich mich erst mal auf den bekanntlich sehr gepflegten englischen Rasen legen und tief durchatmen mußte.

Dann begann ich, die Vorgänge zu analysieren. Wenn irgendwas schief gelaufen war, kehrte ich immer erst mal vor meiner eigenen Tür.

Gegen mich stand:

- erschienen ohne vorherige Anmeldung

- ohne wie auch immer geartete Qualifikationsunterlagen wie Zeugnisse oder Lebenslauf

- rudimentäre Englischkenntnisse bar jeglichen Fachvokabulars

- in Jeans, knappen T-Shirt und roten Sneakers - in einem Land, das für seinen äußerst konservativen Dresscode bekannt ist

Daß man angesichts dieser Umstände weder die Mundwinkel nach unten noch die Augenbrauen nach oben gezogen hatte und sich in jeder Phase mir gegenüber höflich und zuvorkommend benommen hatte, erhöhte mein 'eh schon hohes Ansehen der Briten noch weiter.

Auf der Haben-Seite konnte ich für mich verbuchen:

- jugendliches-frisches Alter (mein 20.Geburtstag stand in 6 Wochen zur Feier an)

- gerade abgeschlossene, umfassende nicht ganz 2jährige Ausbildung zum Speditionskaufmann mit annehmbaren Meriten seitens der IHK und des Ausbildungsbetriebs prämiert

- wegen meiner bereits 3 Aufenthalten mit Sprache und Umgangsformen halbwegs vertraut

- meine damalige (Lehr)Firma und meine zukünftige standen im Agentenverhältnis

Nachdem ich mit mir selbst im Reinen war, machte ich mich auf den Weg zurück zum Hotel.

Beim Umsteigen von Bus in die Tube (Londoner U-Bahn) unterbrach ich erst mal die Weiterfahrt und suchte den nächstbesten Pub in der King's Road auf, um dort 2 oder 3 Pints of Draught Guinness einzuweisen und damit meinen unverhofften Coup zu zelebrieren.

Rechtzeitig zur Abfahrt fand ich mich im Hotel ein. Das Hallo war groß, und man wollte natürlich wissen, was zum Teufel ich getrieben hätte. Die Vermutungen reichten von einem amourösen Rendezvous mit einer Frauensperson bis hin zu möglicher Drogenbeschaffung. Als ich dann die Bombe platzen ließ, war das Hallo und die Gratulationen riesig. Dann ging es in unserem Bus ab nach Dover, auf die Nachtfähre nach Ostende und dann weiter nach Nürnberg.

Die ganze Fahrt über hatte ich überlegt, was nun die nächsten Schritte sein würden. Erst mal die Neuigkeit meiner Familie und meinem Umfeld schonend eröffnen. Meinen Angestelltenvertrag kündigen. Transport meiner wenigen persönlichen Habe in die Wege leiten. Reisepläne schmieden.

Mitte September suchte ich das lokale Lufthansa - Stadtbüro auf, Ecke Bahnhofstr. / Königstorgraben und beantragte die Ausstellung meines ersten Linienflugticket, Nürnberg - London Heathrow, Economy, One Way. Kosten nach 25% Abzug Juniorenrabatt (bis 25 Jahre) DM 166,00. Ohne Gepäckzuschlag, aber mit lüttem Frühstück bzw. leichter Mahlzeit inklusive. War damals trotz Rabatt ein Haufen Geld. Aber hatte ja bereits 2 Angestelltengehälter auf dem Konto, und Bahn- oder Busreise war mir nie in den Sinn gekommen. Das Ticket wurde noch handschriftlich in Schönschrift gemalt...

Am 30.September fand sich meine Familie und ein Großteil meiner Freunde in aller Herrgottsfrühe, mit Sekt und Gläsern bewaffnet, am Flughafen zur feuchtfröhlichen Verabschiedung ein.

Koffer + Sporttasche eingecheckt, Bordkarte entgegengenommen (Bläbberla mit Sitzplatznr. gab es noch nicht), allen „Tschüß“ gesagt und dann mit billiger Kollegmappe und Kamerakoffer im Schnellschritt hinaus aufs Vorfeld zur Lufthansa Boeing 737 (Version noch 100 oder 200). Fensterplatz auf der linken Seite in Höhe Flügelvorderkante besetzt, Kamera in Schußposition gebracht, Seatbelts gefastet und schon ging es los. Damals und über viele Jahre hinweg die einzige LH-Verbindung von Nürnberg ins Ausland, wenn auch noch mit Zwischenstopp in Köln. Und wenn ich mich richtig erinnere, die einzige Auslandsverbindung überhaupt (von Charterverbindungen abgesehen). Durch den Zwischenstopp kam ich sogar in den Genuß einer 2. Start/Landung - Sequenz. In Köln mussten alle London-Passagiere aussteigen und durch die Paßkontrolle. Schengen gab es damals noch nicht. Dann ging es weiter zum Endziel der Reise. Auf beiden Legs gab es nichts zu meckern, als Erstflieger fehlte mir ja die Erfahrung. Die meiste Zeit die Nase am Kabinenfenster platt gedrückt und fasziniert die Welt von oben betrachtet, soweit halt sichtbar. Was ich nach all den Jahrzehnten heute immer noch praktiziere. Die Verbindung und zurück sollte dann für einige Zeit meine Standard-Flugroute werden.

Glatte Landung in Heathrow, Gepäck geclaimed, raus aus dem Terminal und hinein in den Expreß - Bus zum West London Air Terminal (hatte mich schon 6 Wochen vorher vor Ort schlau gemacht), dann in die Tube zur Victoria Station und dann kurzen Fußweg in die Pension in der Ebury Street.

 

London, watch out - here I am !

 

Damit begann für mich eine aufregende, höchst interessante und lehrreiche Zeit in London. Aber irgendwann musste diese zu einem Ende kommen - mit einem weiteren schicksalsträchtigen Flug.

Stay tuned for more !

Bearbeitet von Easyflyer75
Rechtschreikorrektur
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