Hessen-Löwe Geschrieben 2. November 2006 Melden Geschrieben 2. November 2006 Auf der a.de-Homepage ist nachzulesen, was heute auch durch die Presse ging: drei LH-Piloten wollen gegen die Pensionierung mit 60 Jahren klagen und erst mit 65 aus dem Dienst ausscheiden - das in den Medien viel diskutiere Anitdiskriminierungsgesetz ermöglicht diese Klage. Mich würde Eure Meinung zu diesem Thema interessieren, da ich im Forum über diese Meldung nichts fand, habe ich diesen Thread eröffnet. Meine Meinung dazu: aus Sicht der 3 Flugkapitäne durchaus nachvollziehbar, da es hier nach keinem "konstruierten" Rechtsstreit aussieht, wie so oft in der Juristerei der Fall, sondern die Piloten hier länger im Dienst bleiben möchten. Sie berufen sich auf das AGG. Den Piloten kann man also keinen Vorwurf machen - im Gegenteil, aus ihrer Sicht ist die Klage gegen den Arbeitgeber in gewisser Weise verständlich. Was dieser Fall wieder einmal zeigt - und das stört mich daran sehr - dass Berlin bzw letzlich auch Brüssel mit dem AGG ganzen Klagefluten Tür und Tor öffnen. Darum wird dem hier zitierten Fall ja auch "Präzedenzcharakter" bescheinigt (Stichwort Grundsatzentscheidung). Sollte LH den Rechtsstreit verlieren, dürften weitere Klagen - in verschiedenen Branchen - folgen. Arbeitgeber (nicht nur Großunternehmen) könnten dann bspw. für Stellenanzeigen, in denen die Bewerber auf Geschlecht, Alter, Körpergröße etc festgelegt werden, wegen Benachteiligung von Betroffenen verklagft werden. Unternehmerisches Handeln wird so noch mehr eingeschränkt, als dies sowieso schon der Fall ist. Sicher, die meisten Rahmenbedingungen wirtschftlichen Handelns hierzulande sind überaus positiv zu bewerten. Dennoch, das AGG ist wieder ein Beispiel für jene Dinge, die mehr schaden als sie letzlich den "Benachteiligten" bringen würden. Auf lange Sicht schadet ein Anheben der Pensionierung auf 65 Jahre den (jüngeren) Berufskollegen, die dann u.U. nicht eingestellt werden, da der Bedarf an neuen Piloten dann logischerweise geringer ausfällt. Zum AGG-Rechtsstreit passt auch der ebenfalls gerade wieder in der Presse diskutierte Fall Ackermann... (denn *leider* ist ein nicht unerheblicher Teil der hiesigen Juristen (natürlich nicht alle!) nicht in der Lage, die wirtschftlichen Folgen ihrer juristischen Klein- oder auch Großkriege auf die Volkswirtschaft Deutschland abzusehen - dies kritisierte bspw. auch schon der Wirtschaftweise Peter Bofinger). Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: aus AN-Sicht im Einzellfall sicher nachvollziehbar (so wie hier), aber wenn man über den Tellerrand hinaussschaut wird man erkennen, welche Gefahren das Antidiskriminierungsgesetz für das ökonomische Gesamtwohl bringt - und hiervon profitieren letzlich alle. Wieder einmal hat die "Politik vom grünen Tische" gezeigt, zu was sie fähig ist...
DAP Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 ... dass Berlin bzw letzlich auch Brüssel mit dem AGG ganzen Klagefluten Tür und Tor öffnen. Jede neue Sach- oder Rechtslage wirft Zweifelsfragen auf, die geklärt werden müssen. Dazu gibt es, da das Faustrecht ja abgeschafft ist, im Rechtsstaat den Rechtsweg. Und ob das tatsächlich "Klagefluten" werden, warten wir einfach mal ab... Sollte LH den Rechtsstreit verlieren, dürften weitere Klagen - in verschiedenen Branchen - folgen. Sollte LH den Rechtsstreit gewinnen, werden von dem entschiedenen Fall abweichende Sachverhalte auch der richterlichen Überprüfung gestellt werden. Arbeitgeber (nicht nur Großunternehmen) könnten dann bspw. für Stellenanzeigen, in denen die Bewerber auf Geschlecht, Alter, Körpergröße etc festgelegt werden, wegen Benachteiligung von Betroffenen verklagft werden. ...konnten Arbeitnehmer wegen Geschlechtsdiskriminierung schon seit Jahren. Unternehmerisches Handeln wird so noch mehr eingeschränkt, als dies sowieso schon der Fall ist. ...wenn es der Gerechtigkeit dient, dann soll es so sein... Auf lange Sicht schadet ein Anheben der Pensionierung auf 65 Jahre den (jüngeren) Berufskollegen, die dann u.U. nicht eingestellt werden, da der Bedarf an neuen Piloten dann logischerweise geringer ausfällt. Erkläre das bitte mal Herrn Müntefering mit seiner Anhebung der allgemeinen Rentengrenze auf 67. (denn *leider* ist ein nicht unerheblicher Teil der hiesigen Juristen (natürlich nicht alle!) nicht in der Lage, die wirtschftlichen Folgen ihrer juristischen Klein- oder auch Großkriege auf die Volkswirtschaft Deutschland abzusehen... Mich würde mal der Anteil der Rechtspflege am BIP interessieren, ganz abgesehen von der dort geleisteten geistigen Wertschöpfung... ...welche Gefahren das Antidiskriminierungsgesetz für das ökonomische Gesamtwohl bringt... Hessen-Löwe, jede gesetzliche Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeiten schränkt im Gemeinwohlinteresse - was immer eine Wertungsfrage ist - die Ertragskraft ein. Mit deiner Argumentation müßte man angefangen von der GewO bis zum Kartellrecht alles aufheben... oder *Geistesblitz* du wirst doch wohl nicht etwa ein Anarchist sein??? ;-)
Hessen-Löwe Geschrieben 3. November 2006 Autor Melden Geschrieben 3. November 2006 Da lohnt sich ja das lange Aufbleiben doch... Danke für die überwiegend sachlichen Diskussionseinwände, DAP. Das tolle an diesem Forum ist, dass man nie unkommentiert bleibt - und das meine ich jetzt in psoitivem Sinne. Insbesondere, da sich hier die komplette Bandbreite der Gesellschaft tummelt, von Kindern bis zu Akademikern, Luftfahrt-Fachleuten und Laien, Hobby-Spottern und Vielfliegern etc. DAP, bist du etwa Jurist? ;-) Mich hätte aber mal deine Meinung zum AGG interessiert, bezogen auf den aktuellen Rechtsstreit; das war meine Eingangsfrage im Eröffnungsthread. Um auf die Details einzugehen, ist es schon zu spät, nur so viel: wenn durch das AGG eine Art "Arbeitsbeschaffungsprogramm" für Juristen generiert wurde, dann wird der Anteil der Rechtspflege am BIP sicher geringfügig wachsen. ;-) Die geistige Wertschöpfung ist aber bekannermaßen einer der Faktoren, die im BIP keine Berücksichtigung finden, nicht wahr? Sämtliche "Schranken" abzuschaffen, das war nicht meine Intention (siehe 1. Beitrag, 3. Absatz). Ich habe nur etwas gegen das AGG in seiner jetzigen Form, bzw. wie es angewandt wird. Im Handelsblatt (oder war es die FTD) stand neulich mal etwas über Missbrauchsfälle, von denen die Personalchefs mitterweile ein Lied singen können. Wie Du richtig erwähnst, waren Klagen gegen Geschlechtsdiskriminierung auch seither möglich. Nun sind aber jede Menge weiterer Faktoren wie Herkunft, Alter, Größe etc hinzugekommen. Das macht die Sache nicht leichter. Zu viele "Schranken", insbes. wenn sie augenscheinlich überzogen sind und somit leicht missbraucht werden können, schaden nur. Ich habe nichts gegen die meisten seitherigen Restriktionen. Wir werden ja sehen, welche Konsequenzen aus dem AGG entspringen werden. Die Klage der 3 LH-Piloten ist ja noch vergleichsweise überschaubar und relativ harmlos, abgesehen von ihrem Präzedenzfallcharakter. Welchen Anarchisten kümmert denn bitte ernsthaft das Kartellrecht? Das schert die nicht wirklich sonderlich, vermutlich. Und nein, ich bin ganz sicher kein Anarchist, da muss ich dich wohl enttäuschen, im Übrigen habe ich auch noch keinen erlebt, der sich als solcher für Wirtschaftsunternehmungen stark machen würde - das Gegenteil wäre charakteristisch für einen solchen. (Wirtschaftlich) liberales Denken ist noch kein Anarchismus, oder sind wir schon so weit angelangt?? ;-)) Beste Grüße!
Karsten* Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Als selber vom AGG ziemlich stark betroffener (Mietrecht), ein paar Anmerkungen. - hauptsächlich wurden mit dem AGG nur vorgegebene EU-Vorgaben umgesetzt, kritikwürdig darum nur der Anteil, der über die EU-Vorgaben hinausgeht - die sogenannte "Vertragsfreiheit" hat damit einen weiteren großen Tritt bekommen, so das sie (z.B. im Mietrecht) praktisch nur noch rudimentär existiert - Zitat "Sicher, die meisten Rahmenbedingungen wirtschftlichen Handelns hierzulande sind überaus positiv zu bewerten." - das sehen ein sehr großer Teil der Leistungsträger, Wirtschaftsexperten und Unternehmer ein "wenig" anders. Da nach dem Linksruck der CDU aber faktisch nur noch sozialdemokratische Parteien an der Macht sind wird es so weiter gehen. Aber egal, auch das ist Demokratie und das Volk bekommt was es gewählt hat als Boomerang zurück.
Sickbag Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 >>>Mich hätte aber mal deine Meinung zum AGG interessiert, bezogen auf den aktuellen Rechtsstreit; das war meine Eingangsfrage im Eröffnungsthread. Ich bin jetzt zwar nicht direkt angesprochen, betrachte die Frage aber einmal als generell in den Raum gestellt :-) Meiner Meinung nach wird bzgl. des AGG vieles weniger heiss gegessen werden als es heute gekocht wird. Einiges, was das AGG nun ausdruecklich regelt, war schon zuvor Rechtsprechung, anderes wird mit Augenmass richterlich einschraenkend und vernuenftig ausgelegt werden. Am Beispiel der hier angefuehrten LH-Piloten kann man genau das illustrieren: Die haben bisher auch schon immer geklagt und ihre Klagen auf durchaus existente (aber verstreute) arbeits-, verwaltungs- und verfassungsrechtliche Rechtssaetze gestuetzt. Ich hatte einmal das Vergnuegen, fuer eine Partei in einem solchen Rechtsstreit am ArbG Darmstadt aufzutreten. Diese Klagen wurden durch einen ziemlich allgemein gehaltenen Rekurs auf die allgemeine Flugsicherheit abgewiesen. Daran wird sich nach diesseitigem Dafuerhalten nichts aendern: So wie bisher mit dieser Argumentation die Einschraenkung von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften und des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebotes eingeschraenkt wurde, wird das mit den entsprechenden Passagen des AGG geschehen. >>>(denn *leider* ist ein nicht unerheblicher Teil der hiesigen Juristen (natürlich nicht alle!) nicht in der Lage, die wirtschftlichen Folgen ihrer juristischen Klein- oder auch Großkriege auf die Volkswirtschaft Deutschland abzusehen. Du darfst aber nicht vergessen, dass die meisten Juristen selber nicht gestalterisch taetig sind, sondern nur das tun, wozu sie von ihren Mandanten beauftragt werden. Und nicht jeder Kollege ist in der finanziell luxurioesen Lage, unsinnige Mandate abzulehnen. Aber das ist wieder eine gaaaaanz andere Diskussion. >>>Zum AGG-Rechtsstreit passt auch der ebenfalls gerade wieder in der Presse diskutierte Fall Ackermann... Auf die Gefahr hin ganz abzudriften, wie meinst Du das, bitte?
Hessen-Löwe Geschrieben 3. November 2006 Autor Melden Geschrieben 3. November 2006 Mir ist natürlich klar, dass es bei Juristen, wie bei allen Berufsfeldern, solche und solche gibt und ich wollte hier niemandem zu nahe treten, um das sicherheitshalber nocheinmal zu betonen. ;-) >>>Zum AGG-Rechtsstreit passt auch der ebenfalls gerade wieder in der Presse diskutierte Fall Ackermann... Auf die Gefahr hin ganz abzudriften, wie meinst Du das, bitte? Vor ziemlich genau einem Jahr unterhielt ich mich mit einem Strafrechtsprofessor über das Mannesmannverfahren (war damals ebenso in der Presse wie aktuell wieder). Zu meinem Verwundern war der Strafrechtler tatsächlich der festen Überzeugung, dass es "gut" sei, dass Herr Ackermann und weitere Wirtschaftsführer angeklagt seien, er hoffte auf eine Verurteilung und ein hohes Strafmaß. Meinem Einwand, dass eine Verurteilung insbes. Ackermanns als Chef der größten Bankhauses hierzulande, Konsequenzen für den Standort Deutschland insgesamt haben könnte (das sind mehr als Immageschäden durch vermeintlich korrupte Manager etc)., wollte er nicht folgen. Aufgrund dieses Gespräches und weiterer Erlebnisse mit Juristen (wie gesagt, es gibt auch andere), bin ich mittlerweile der Meinung, dass viele die wirtschaftlichen Konsequenzen ihres Tuns nicht sehen können oder zumindest nicht sehen wollen. Das mag an der Juristenausbildung per se liegen und nicht an den Personen direkt. Ich hoffe, dass nun der - aus meiner Sicht - Brückenschlag zwischen dem Fall Ackermann und dem Antisiskriminierungsgesetz deutlich wurde. Dies ist freilich subjektiv... (Edit): Sorry für das OT...
anjuwan Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Weiter OT, sorry! ...Meinem Einwand, dass eine Verurteilung insbes. Ackermanns als Chef der größten Bankhauses hierzulande, Konsequenzen für den Standort Deutschland insgesamt haben könnte (das sind mehr als Immageschäden durch vermeintlich korrupte Manager etc)., wollte er nicht folgen. ... Auch ich kann Dir hier nicht folgen. Sollten etwa die "Aushängeschilder" unserer Wirtschaft einen Freifahrtsschein für alles, was sie anrichten, erhalten? Das brauchen wir das AGG nicht, da sollte schon das GG vor sein. Wird es die US- Wirtschaft stören, dass der Enron-Chef für nachgewiesene Straftaten 24 Jahre in den Bau geht? Schöne Grüsse anjuwan EDIT Jahre von 12 auf 24 geändert!
Dummi Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Diese Klagen wurden durch einen ziemlich allgemein gehaltenen Rekurs auf die allgemeine Flugsicherheit abgewiesen. Daran wird sich nach diesseitigem Dafuerhalten nichts aendern: So wie bisher mit dieser Argumentation die Einschraenkung von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften und des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebotes eingeschraenkt wurde, wird das mit den entsprechenden Passagen des AGG geschehen. Eben das bezweifel ich. Zum einen werden bei LH Gesellschaften tatsächlich schon Piloten bis 65 Jahre beschäftigt so dass die allgemeine Flugsicherheit da ja schon verletzt wäre, zum anderen hat die ICAO dieses Jahr ihre Recommendation von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt was u.a. einige internationale Änderungen hervorruft, so kann zum Beispiel kein Mitgliedsstaat der ICAO Piloten anderer ICAO Staaten verbieten dieses Land zu überfliegen bzw. anzufliegen, ihren eigenen Piloten kann aber in der Tat noch eine entsprechende Beschränkung auferlegt werden (prominente Fälle sind Frankreich und die USA).
DAP Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Mahlzeit allerseits! Ich will erst mal ausholen und mich zuerst mal dem allgemeinpolitischen Geplänkel anschließen. @Hessen-Löwe: Jedes abstrakt gefaßte Gesetz hat einen eindeutig geregelten Kern, um den sich eine Grauzone rankt. Gerade diese Grauzone gilt es abschließend zu klären, wofür es den Rechtsweg gibt. Eines dürfte allerdings klar sein, Mißbrauch läßt das Recht nicht zu. Tatsächlicher Mißbrauch löst Schadenersatzansprüche aus. Wer derzeit meiner Wertung nach populistisch „Mißbrauch“ ruft, sollte auch die Konsequenz des Schadenersatzes durchklagen, tut er das nicht, kann ich es nicht ernst nehmen. @Karsten: ich verstehe nicht, weshalb du die EU-Vorgabe von deiner Kritik ausnehmen willst. Das ist doch keine diktatorische Instanz, sondern ebenso demokratisch legitimiert wie unsere nationalen Leithammel. In einem Punkt gebe ich dir Recht: Der Eingriff in unser Vertragsfreiheitsmodell ist ohnegleichen, dagegen war die Umkrempelung des BGB vor vier Jahren Kleinkram. Allerdings kann ich damit aus verschiedenen Gründen leben: nach bundesdeutschem Verständnis der Vertragsfreiheit darf bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit benachteiligt werden. Erste Defizite dieses Vertragsfreiheitsmodells wurden offenbar, als Verträge mit „Kleingedrucktem“, also einseitig gestellten Vertragsinhalten die man schlucken mußte und bis scharf an die Grenze der Sittenwidrigkeit reichten - also noch rechtens waren - massenhaft Verwendung fanden. Konsequenz war Ende der 70er das AGB-Gesetz, das im Kern sagte, Kleingedrucktes darf weiter benachteiligen, aber eben nicht unangemessen benachteiligen: das war schon ein gewaltiger Schritt weg von der Sittenwidrigkeitsgrenze. Jetzt stehen wir im europäischen Kontext, in dem die Meinung vorherrscht, daß es auch im Vertragsbereich einzelne absolute no-go-Bereiche gibt. Im Kern heißt das also, man darf wegen dieser einzelnen Merkmale nicht benachteiligen - da steckt doch ein Gerechtigkeitsgedanke drin. @Sickbag: jap, das AGG wird weniger heiß gegessen werden, als es die letzten drei Jahre gekocht wurde. Die Rechtsprechung wird im Instanzenzug mit vernünftiger Abwägung entscheiden, und selbst aus deutscher Sicht vielleicht „überraschende“ EuGH-Entscheidungen werden das Ergebnis einer solchen Abwägung sein. Was Juristentätigkeit angeht meine ich allerdings, daß der Großteil der Bande doch gestalterisch tätig ist. In den Ministerien, im wissenschaftlichen Dienst der Parlamente gestalten die das Recht durch Gesetzesvorschläge, die wiederum Verbandsjuristen zur Stellungnahme (=Gestaltung) zugeleitet werden. Und auch in Unternehmen hocken die alle und gestalten Vertragsverhältnisse aus. Meinst du nicht, daß dagegen die rund 100.000 forensisch tätigen Rechtsanwälte im Land eine Minderheit darstellen? In der Eingangssache der Pilotenklage schlage ich aber mal einen Blick in die Paragrafen vor, die in dem Verfahren eine Rolle spielen werden. Zugunsten der Gerontofraktion im Cockpit spricht Folgendes: AGG § 1 Ziel des GesetzesZiel des Gesetzes ist, Benachteiligungen […] wegen […] des Alters […] zu verhindern oder zu beseitigen. AGG § 7 Benachteiligungsverbot (1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; […] (2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam. LH kann sich hierauf berufen: AGG § 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. AGG § 10 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: […] 5. eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt, Die Piloten werden sich also durchsetzen, wenn in der Altersbeschränkung eine Benachteiligung liegt und der Arbeitgeber mit seiner Altersbeschränkung nicht durch die §§ 8 und 10 gedeckt ist. Insbesondere letzteres sind Wertungsfragen, deren Entscheidung auch davon abhängen wird, welches Material zur Argumentationsstütze von den Parteien in den Prozeß eingeführt wird. In diesen Fragen möchte ich den sachlich und fachlich versierteren Forumsteilnehmern den Vorstritt lassen. Interessant finde ich allerdings die Konstellation, weil die Piloten nicht nur LH, sondern auch VC gegen sich haben: So zumindest verstehe ich die Meldung, daß die Alterbegrenzung tarifvertraglich geregelt ist.
Sickbag Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Tolltolltoll - eine juristische Diskussion, die sich nicht um Rueckerstattungen und Flugzeitaenderungen dreht! >>>Zu meinem Verwundern war der Strafrechtler tatsächlich der festen Überzeugung, dass es "gut" sei, dass Herr Ackermann und weitere Wirtschaftsführer angeklagt seien, er hoffte auf eine Verurteilung und ein hohes Strafmaß. Das ist m.E. auch nachvollziehbar. Soweit ich das sehe, ist der Untreuetatbestand erfuellt, ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen, denn dann koennen wir vollends irgendein Juraforum zumuellen. Und wenn die Tat als solche begangen ist, sollte in der Bestrafung auch kein Unterschied gemacht und kein Promibonus, wie er in Deutschland leider sehr ueblich ist, vergeben werden. >>>Meinem Einwand, dass eine Verurteilung insbes. Ackermanns als Chef der größten Bankhauses hierzulande [...] wollte er nicht folgen. Dein Argument ist ein rechtspolitisches, daran kann und darf sich der Rechtsanwender nicht halten. I.ue., um rechtspolitisch dagegenzuhalten, ich halte es durchaus fuer sinnvoll, uebertriebene Boni als eine Form der Korruption zu sanktionieren. Allerdings fuehrte ich an dieser Stelle, anders als anjuwan, nicht die Bilanzfaelschung bei Enron sondern die Eskapaden der Herren Kozlowski und Swartz von Tyco als Argument ein. Das deutsche Skilling-Aequivalent waere mehr Manfred Schmider, Flowtex. Nichtsdestotrotz, anjuwans Schlussfolgerung, dass die juristische Aufarbeitung von Enron et al dem Standort USA nicht schadet, teile ich. >>>Zum einen werden bei LH Gesellschaften tatsächlich schon Piloten bis 65 Jahre beschäftigt so dass die allgemeine Flugsicherheit da ja schon verletzt wäre, Du hast recht, allerdings handelt es sich dabei nur um die Frachtjockeys von YF. Die Gerichte stellen auf die allgemeine Sicherheit des Passagierverkehrs ab. >>>zum anderen hat die ICAO dieses Jahr ihre Recommendation von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt Das wird sicherlich ein Indiz bei der Abwaegung nach 8 und 10 AGG sein. Nur weil die ICAO das so sieht, muss sich ein deutscher Arbeitsrichter (bzw. der Flugmediziner, der ihm ein Gutachten erstattet) diese Sichtweise noch lange nicht zu eigen machen. >>>Was Juristentätigkeit angeht meine ich allerdings, daß der Großteil der Bande doch gestalterisch tätig ist. Point taken. Zwei Gegenueberlegungen seien mir gestattet, eine ins blaue geschaetzt und eine eher philosophischer Natur: 1. Wenn heute gut 80% der frischgebackenen Assessoren RA werden und nicht Justitiar in einem Grossunternehmen, Vewaltungs- oder Verbandsjurist, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ueberbleibsel aus der "Guten alten Zeit" noch zahlenmaessig viel ausmachen. Allerdings, da gebe ich Dir wieder Recht, ist ihr Einfluss sicherlich gemessen an ihrer Kopfzahl, ueberproportional hoch. 2. Sind diese Juristen ueberhaupt noch Juristen? Sind sie nicht vielmehr Politiker und Lobbyisten, die irgendwann mal eine juristische Ausbildung genossen haben? >>>Meinst du nicht, daß dagegen die rund 100.000 forensisch tätigen Rechtsanwälte im Land eine Minderheit darstellen? Von den insgesamt 135.000 RAen stellen sie jedenfalls keine Minderheit dar. Und auch den Rest, die kautelarjuristisch taetigen Anwaelte zaehle ich eher zum Kreis der Rechtsanwender denn zu dem der Rechtsgestalter. Sie gestalten vertragliche Regelungen, sind dabei aber an die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Wege eine weitgehenden "Friss oder stirb" gebunden.
Dummi Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 >>>Zum einen werden bei LH Gesellschaften tatsächlich schon Piloten bis 65 Jahre beschäftigt so dass die allgemeine Flugsicherheit da ja schon verletzt wäre, Du hast recht, allerdings handelt es sich dabei nur um die Frachtjockeys von YF. Die Gerichte stellen auf die allgemeine Sicherheit des Passagierverkehrs ab. Nein, auch bei CLH ist 65 normal und das ist eine Gesellschaft im 100% Besitz der LH, und diese fliegen keine Fracht. Bei LH Cargo hingegen würde es mich wundern da dort die Piloten wie bei LH, Germanwings und Condor unter den Konzerntarifvertrag fallen. Ganz abgesehen davon dass alle anderen Fluggesellschaften in Deutschland ein arbeiten im Cockpit bis 65 erlauben so lange die entsprechenden Gegebenheiten erfüllt sind (also alle 6 Monate zum Fliegerarzt und in den Simulator). Eine flugmedizinisch bedeutsame Gefährdung durch ein Alter von mehr als 60 kann durch das relativ engmaschige flugmedizinische Überwachungsnetz weitestgehend ausgeschlossen werden. Und gerade auf Basis breit angelegter flugmedizinischer Forschung und nicht auf blossen Druck entsprechender Verbände hat die ICAO diese Grenze angehoben, solche Forschungen können entsprechend auch durch einen Gutachter herangezogen werden. Tatsächlich haben Arbeitgeber nur begrenzt Interesse daran Piloten besonders lange zu beschäftigen da diese in der Regel auch einiges kosten und Arbeitnehmerverbände haben auch etwas dagegen obwohl da die Meinungen sehr geteilt sind. Im konkreten Fall setzen sich die klagenden Piloten in der Tat sowohl bei der Gewerkschaft als auch bei LH in die Nesseln. Das Ziel ist allerdings das die entsprechende Klage an den Europäischen Gerichtshof weiterverwiesen wird und damit kommen auf einmal europäische und internationale Regularien ins Spiel.
Guenni Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Eine flugmedizinisch bedeutsame Gefährdung durch ein Alter von mehr als 60 kann durch das relativ engmaschige flugmedizinische Überwachungsnetz weitestgehend ausgeschlossen werden. Hab dazu mal eine Frage: Wird bei einer solchen Untersuchung auch die Reaktionsschnelligkeit geprüft? Grundsätzlich setze ich mich ja lieber zu einem CPT mit 5 Jahre mehr Erfahrung mit ins Flugzeug. Bei Augen/Herz-Kreislauf gibts sicherlich auch harte Limits. Entweder besteht jemand oder nicht. Die Reaktion auf unerwartete Ereignisse wird meines Wissens beim Altern aber kontinuierlich langsamer. Ist ja auch ein Thema beim Autofahren. Guenni
Crewlounge Geschrieben 3. November 2006 Melden Geschrieben 3. November 2006 Die meisten in dem Alter haben so viel Erfahrung, die fliegen das Ding wirklich mehr oder weniger mit dem A***. Ich fliege lieber mit einem Piloten mit sehr viel Erfahrung, auch wenn er weisse Haare hat, als mit einem jungen Top Gun Verschnitt. Natürlich sollte irgendwann einmal Schluss sein. Ob as nun mit Punkt 60 sein sollte, sollte doch eher individuell festgestellt werden. Die Checks im Simulator sind schon hart und die Fliegerärzte auch ziemlich streng.
Fjaell Geschrieben 4. November 2006 Melden Geschrieben 4. November 2006 Auf welcher rechtlichen Grundlage ist das Alter des Ausscheidens bei LH eigentlich geregelt? Ich kenne es aus dem Bekanntenkreis nur als tarifvertragliche Regelung zwischen AG und BR. Wenn das in dieser Konstellation auch bei der LH so wäre, ist für mich der Fortgang dieser Klage sehr interessant. Bei mir in der Firma ist von Seiten des BR großer Applaus zum AGG zu vernehmen, wobei man sehr bedauert, dass der Passus, auch gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers selbst klagend gegen den AG aktiv zu werden, nicht mehr Bestandteil der verabschiedeten Fassung ist. Fjaell
Hessen-Löwe Geschrieben 4. November 2006 Autor Melden Geschrieben 4. November 2006 Grundlage hierfür sind in der Tat die abgeschlossenen Tarfifverträge. Wie den Medien zu entnehmen war, wurde die Praxis, Flugkapitäne mit 60 anstatt mit 65 Jahren in den Ruhestand zu setzen, schon mehrfach von Arbeitsgerichten überprüft und nicht für rechtswidrig befunden. Jetzt (mit dem AGG) *könnte* die Sache u.U. anders ausgehen, was ich aber zu bezweifeln wage.
Empfohlene Beiträge
Archiviert
Dieses Thema ist jetzt archiviert und für weitere Antworten gesperrt.